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Birgit Hildebrand: "Übersetzen ist Leidenschaft!"

Birgit Hildebrand

Birgit Hildebrand

Transkript zum Interview mit Birgit Hildebrand


Griechische Literatur in Deutschland

Wenn ich mit Lektoren darüber spreche, was die griechische Literatur betrifft, dann sagen die immer, dass sie weniger auf Nationalitäten beim Herausgeben achten als einfach auf das gute Buch als solches. Ich habe eine ganz gute Beziehung zu der Lektorin vom Hanser Verlag. Und sie sagte immer früher, als die Verlage noch nicht so kommerziell ausgerichtet waren, konnte man noch mittelgute Bücher übersetzen und herausbringen. Das ist inzwischen nicht mehr der Fall, weil die finanziellen Möglichkeiten der Verlage sehr knapp geworden sind und sie sind auf die Verkaufbarkeit der Bücher angewiesen. Das schneidet sehr viele Möglichkeiten ab. Das heißt, es wird sehr stark darauf geguckt „verkaufen sich die Bücher, verkaufen sie sich nicht?“ Und es geht eigentlich weniger um die Nationalität eines Autors sondern um dessen Bestseller-Qualitäten, glaube ich. Es gab zum Beispiel eine Zeitlang so eine Mode der niederländischen Literatur in Deutschland. Die war dann aber plötzlich vorbei und letzten Endes ging es dann der niederländischen Literatur auch nicht anders als der griechischen. Das heißt, sie wird als Kategorie nicht unbedingt wahrgenommen, sondern es zählt dann nur noch der einzelne Autor. Also ich glaube, dass die griechische Literatur als Kategorie in dem deutschen Verlagsleben nicht unbedingt zählt, sondern es zählen einzelne gute Autoren.

Und insofern weiß ich nicht, ob es sinnvoll ist, in solchen nationalen Kategorien bei der Vermittlung von Literatur überhaupt zu denken, denn die Nischenverlage wie Romiosini oder jetzt der Größenwahn Verlag ziehen, glaube ich, kein großes Publikum an. Die wenden sich wiederum an ein gewisses Nischenpublikum, was ein Interesse an Griechenland als solchem hat, und dann bleibt die Literatur wieder dem großen Publikum verschlossen. Also das sehe ich auch als teilweise problematisch an.

Die griechische Literatur hat, fürchte ich, immer ein bisschen davon gelebt oder leben müssen, würde ich besser sagen, was für ein Augenmerk auf das Land fällt. Also während der Junta, wo man sich für die politische Freiheit eingesetzt hat, hat man sich angeguckt, was für griechische Autoren gibt es und wie wird über diese Problematik geschrieben und wie kann man die ans Publikum bringen. Dann wurde es wieder sehr viel stiller, es gab dann natürlich die Buchmesse, die einen gewissen kommerziellen Aspekt hat, die dann wieder ein Augenmerk auf die griechische Literatur gelegt hat, und jetzt mit der Krise ist es vielleicht wieder so, Griechenland ist in einen gewissen Fokus gerückt in dem Interesse des deutschen Publikums. Was aber dann die Schwierigkeit mit sich bringt, dass man griechische Themen erwartet, also eine griechische Literatur, die sich in keinster Weise mit Krise, mit griechischen Themen auseinandersetzt, mit irgendeinem Aspekt von sozialen Problemen, die, fürchte ich, hat in Moment keine große Chance einen Verlag in Deutschland zu finden und das ist natürlich fürchterlich, weil das eine extrem enge Fokussierung erzeugt, die der Breite der Literaturproduktion, die auf ganz anderen Dingen basiert, keinerlei Gerechtigkeit widerfahren lässt. Also es wird in Deutschland natürlich nie ein repräsentatives Bild von griechischer Literatur entstehen auf diese Weise, weil vollkommen anders ausgewählt wird, nämlich sehr fokussiert.

Die AutorInnen

Das Zweite was ich übersetzt hatte, war der Napoleon Lasanis. Da lag bereits eine Übersetzung vor und ich habe die dann bearbeitet, denn da war die ganze Syntax vollkommen verändert worden im Deutschen. Lazanis schreibt in einem sehr abgehackten, atemlosen Stil und das war in der Urübersetzung nicht getroffen worden, ich habe die Übersetzung also überarbeitet und habe mich sehr stark mit Stilfragen beschäftigt. Und dann war das Nächste, wenn ich mich nicht irre, schon die Alki Zei Die Verlobte des Achilles und das war meine erste größere Übersetzung immer noch im Romiosini Verlag und danach kam dann Kranaki, Die Philhellines, also, wo es auch ganz schwierig war, einen Titel dafür zu finden, wir haben das dann Nationalität Philhellene genannt, und das war ein Buch mit sehr vielen Herausforderungen, weil dort sehr viele Textsorten vorkommen, also das sind Briefe, die aber auch philosophische Abhandlungen, politische Abhandlungen enthalten, einen Rap unter anderem und so weiter, also da gab es dann sehr viele Stilfragen zu klären. Ja und so kam ich immer mehr in das Übersetzer-Milieu hinein, und dann kam die Buchmesse 2001 mit dem Gastland Griechenland und dann kamen Anfragen auch von anderen Verlagen. Dann habe ich für Hanser übersetzt, den Matessis, Die Tochter der Hündin und das war dann so ein Schritt raus aus dem kleineren Gehege des Romiosini Verlags in die normale Verlagswelt, würde ich sagen.

Ja, ich glaub schon, dass ich relativ verschiedene Bücher übersetzt habe, also ganz verschiedenartige. Sehr gern habe ich Kranaki übersetzt zum Beispiel, weil die so viele verschiedene Themen bearbeitet, in sehr verschiedener Weise, weil die eine extrem intellektuelle Autorin war, sie ist ja gestorben, das hat mit sehr gut gefallen. Auf der anderen Seite habe ich sehr gern Soti Triantafillou's Bleistiftfabrik  übersetzt, wobei ich übrigens auch finde, dass es eine meiner gelungenster Übersetzungen ist, warum weiß ich gar nicht mal genau. Sie hat so einen geschichtlichen Zugang zu den Dingen, der aber gleichzeitig nicht einen historischen Blick hat, sondern sie erschafft eine starke Atmosphäre und außerdem hat sie sehr starke Figuren, sehr, sehr romanhafte Figuren geschaffen. Das hat mir einen großen Spaß gemacht. Bei Christos Ikonomou  jetzt zuletzt das sind ja sehr traurige, sehr tragische Texte. Da wurde ich manchmal gefragt: "Wie hast du das überhaupt ausgehalten das zu übersetzen?", und dann war meine Antwort: „Ich hab‘s ausgehalten, weil das meine professionelle Arbeit ist und weil ich schon mit einer gewissen Distanz, handwerklich an die Texte rangehe.“ Das heißt, die füllen nicht vollkommen meine Seele, sondern was meine Seele füllt, ist das Handwerkszeug, mit dem ich übersetze. Ein ganz verrücktes Erlebnis würde ich vielleicht noch ganz gerne erzählen: Ich habe ja von Panagiotopoulos die Agiografia übersetzt, was Deutsch Der Heiligmacher  heißt und da habe ich ein einmaliges Erlebnis gehabt: Bei einer Lesung in Hamburg, da hat der Schauspieler, der den Text las, sich an einer Textpassage so begeistert, die rhythmisch sehr gelungen war, dass er sagte: „So und jetzt lese ich Ihnen diesen Text noch ein zweites Mal vor, damit Sie ihn sich auf der Zunge zergehen lassen können.“ Also ich muss sagen das war ein einmaliges Erlebnis für mich, wo meine Übersetzerarbeit auf eine ganz besondere Weise gewürdigt wurde. Das ist selten.

Wie wird man Literaturübersetzer?

Wenn ich überlege, wie das mit dem Übersetzen angefangen hat, dann, glaube ich, hat es relativ früh angefangen, und zwar eigentlich in der Schule, denn ich habe ein humanistisches Gymnasium besucht, hatte neun Jahren Latein und wir haben damals altmodischerweise sowohl vom Deutschen ins Lateinische und vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt, um die Sprache entsprechend zu lernen – heute macht man das nicht mehr – und ich hatte damals so den Trick rausgefunden, dass das, was ich übersetze, einen Sinn geben muss, denn ich dachte immer, der Autor schreibt keinen Unsinn, also kann ich auch keinen Unsinn schreiben, und insofern habe ich angefangen, mir über die Ergebnisse meiner Übersetzungen Gedanken zu machen.

Im Studium haben wir weniger übersetzt und als ich dann nach Thessaloniki kam als DAAD Lektorin, wurde ich mit dem Problem konfrontiert, dass ich noch nicht so gut Neugriechisch konnte, aber mit den Studenten Übersetzungen aus dem Neugriechischen ins Deutsche machen sollte. Und da war ich dann mit den Studenten zusammen sowohl Lehrende als auch Lernende, denn wir haben unter anderem Savopoulos' Lieder übersetzt mit großer Freude und natürlich waren es Inhalte, die ich selber auch nicht immer verstanden habe, also war das so eine Situation des Gebens und Nehmens und ich habe da auch interessante Übersetzungserfahrungen gemacht. Und dann bin ich nach acht Jahren Griechenland zurückgekommen nach Deutschland und dann bot mir die Niki Eideneier, die den Romiosini Verlag gegründet hatte von neugriechischer Literatur eine kleine Übersetzung einer Erzählung in ihrem Band über Thessaloniki an. Thessaloniki erzählt: Neugriechischer Erzähler aus Nordgriechenland oder aus Thessaloniki vielmehr und ich habe mehr oder weniger hobbymäßig diese eine Erzählung übersetzt, habe gemerkt, dass ich das kann, dass es einen riesengroßen Spaß macht und dass das Ergebnis überraschend gut geworden war. Und das war der eigentliche Einstieg in das professionellere Übersetzen von Literatur. Ich hatte das Glück, dass ich mit Niki Eideneier den Originaltext und die Übersetzung durchgehen konnte, das heißt, ich hatte ein gewisses Korrektiv, dass ich keine Übersetzungsfehler machte. Das ist eigentlich bei Übersetzern eine seltene Situation.

Was bedeutet Übersetzen für dich?

Leidenschaft. Glück. Und eine Arbeit, die mir wesentlich mehr Freude als Mühe macht.

Der Beruf

Also wenn man den finanziellen Aspekt bedenkt, dann kann ich sagen, es ist eine Profession, von der man überhaupt nicht leben kann, und wäre ich nicht verheiratet gewesen mit einem normal verdienenden Mann, dann hätte ich mir das wahrscheinlich nicht leisten können, denn im Grunde war das so eine Art von Luxus, also man hätte das dann eventuell kombinieren müssen mit anderen Formen von Übersetzung, die mehr Geld bringen. Das musste ich am Anfang nicht, ich habe später dann nebenbei noch im Handwerk gearbeitet, drei Tage Handwerk, drei Tage Übersetzen, ich habe in einer Bilderrahmen-Werkstatt gearbeitet und das war eine sehr interessante Kombination auf der einen Seite mit den Händen zu arbeiten und auf der anderen Seite mit dem Kopf, was sich sehr gut ergänzt. Und nein, der finanzielle Aspekt ist in so einer kleinen Sprache mit so wenig Möglichkeiten und mit einer nicht sehr großen Literaturproduktion und auch mit einem gewissen Misstrauen der Verlage, was Erfolg bringt und was nicht, sicher nicht sehr aussichtsreich.

Sichtbarkeit als Übersetzer, ja natürlich bringe ich meinen Zungenschlag in die Übersetzungen hinein, das kann nicht anders sein. Ich bin zum Beispiel Süddeutsche, Norddeutsche gehen zum Beispiel auch mit Vergangenheitsformen anders um, die benutzen viel mehr Imperfekt, als ich benutze. Ich benutze sehr viel mehr Perfekt-Formen, gibt’s beim Lektorat übrigens auch manchmal gewisse Verschiedenheiten in der Meinung, das wird auch manchmal korrigiert, selbstverständlich bringe ich von meinem eigenen Sprachvorrat sehr viel rein. Ich glaube insofern ist die Sichtbarkeit fast nicht zu vermeiden. Also mir kommt das so vor, als wäre es eine Illusion, dass ich im Text unsichtbar bin, denn selbstverständlich habe ich meine bestimmten Sprachformen, meine charakteristischen Ausdrucksweisen ich versuche zwar den Rhythmus des Textes so stark wie möglich ins Deutsche zu übertragen, aber meine eigene Atemhäufigkeit spielt hundertprozentig auch eine Rolle. Ich glaube, das ist nicht zu vermeiden und es ist ja auch klar, lass den Text von zwei verschiedenen Personen übersetzen und du hast zwei verschiedene Texte, also die Unsichtbarkeit halte ich für eine Fiktion.

Die soziale Sichtbarkeit oder überhaupt die Sichtbarkeit des Übersetzers, finde ich, hat sich in den letzten Zeiten geändert. Ich habe jetzt erstmals erlebt, beim Beck Verlag, dass mein Name hinten auf der Klappe erscheint und ein Lebenslauf, dass ich da namentlich genannt werde. Das bürgert sich ja immer mehr ein, und zwar auch immer mehr mit nicht bedeutenden Übersetzern, also vorher war es, also früher war es oft so, dass der Übersetzer bereits einen eigenen Namen hat und dann man den Übersetzer unter den Autor setzt, als für sich genommene relativ wichtige Persönlichkeit. Das kann, glaube ich, auch bei der Verkaufbarkeit der Bücher eine gewisse Rolle spielen. Das hat sich sicher sehr geändert, das ist auch in den Kritiken anders geworden, die Übersetzer werden namentlich erwähnt oft, und es wird auch eine kleine Bemerkung oft zur Übersetzung gemacht. Das war früher sehr viel weniger der Fall. Das heißt die Wahrnehmung, dass ein Buch in dieser Gestalt ein übersetztes Buch ist, die wird größer auf jeden Fall in der letzten Zeit.

Das liegt sicher auch an den Übersetzer-Verbänden. Ich glaube, dass die Übersetzer um ihre Wahrnehmbarkeit auch gekämpft haben. Die haben dafür gekämpft, dass ihre Rolle wahrgenommen wird und der José Saramago hat ja gesagt "Weltliteratur ist die Literatur der Übersetzer, ist übersetzte Literatur". Das ist uns einfach oft beim Lesen nicht so klar, dass wir was Übersetztes in der Hand haben. Das ist vielen Lesern nicht klar. Ich lese natürlich inzwischen auch mit einer gewissen professionellen Gerichtetheit und kann manche Übersetzungen nicht lesen. Das ist eigentlich auch schade. Also mich stören dann die ganzen Widerhaken an den übersetzten Texten. Ich höre auf manche Übersetzungen zu lesen, weil ich sie nicht ertrage.

Das Prozedere

Also wenn ich mir die Texte anschaue, die ich übersetzt habe, dann kann ich sagen, dass jeder seine eigenen Herausforderungen gestellt hat. Ich gehe an Texte so, dass ich einfach anfange zu übersetzen. Also zuerst lese ich den Text mindestens zweimal durch, mach mir die ersten Anmerkungen, ich lese auch schon fast übersetzend, also das heißt beim Lesen fallen mir spontan erste Übersetzungsmöglichkeiten ein. Und die schreibe ich dann meistens mit Bleistift schon ins Buch rein, so ganz spontan. Und dann fange ich auf jeden Fall an, die ersten Seiten zu übersetzen, um überhaupt mal auf den Geschmack zu kommen, wie dieser Text funktioniert in sich selbst. Und ich übersetze spontan am Anfang und mach meistens dreißig Seiten Probe und in diesen dreißig Seiten versuche ich dann so was wie einen Stil zu entwickeln, der diesem Text entspricht, also man versucht dann herauszufinden, wie ist die Stimme des Autors in diesem speziellen Text, wie ist die Stimme der Personen, worauf muss ich achten, was sind die Besonderheiten des Wortschatzes, wo liegen die besonderen Schwierigkeiten. Es geht auch sehr stark darum, einen Rhythmus zu finden, sozusagen so eine Art Atemzug des Textes, also ist er langatmig, ist er kurzatmig, ist er Stakkato, wo sind die Pausen, wie werden die Sätze gebildet, wo liegen Schwerpunkte, und wenn der Text einigermaßen durchgängig ist und nicht aus ganz verschiedenen Textstücken besteht, dann kann man in den ersten dreißig, vierzig Seiten solche Dinge ganz gut erarbeiten. Ich arbeite sowieso so – ich nenne das so ein bisschen im Tandemsystem – ich übersetze erst spontan, wenn ich weiter übersetze, überarbeitete ich den ersten Teil und fange dann an den nächsten Teil spontan wieder zu übersetzen und wenn ich dann das dritte Stück übersetze, dann habe ich den ersten Teil dreimal schon überarbeitet, den Zweiten zweimal und den Dritten das erste Mal, und so geht’s dann so durch den ganzen Text. Das gibt dann auch den Vorteil, dass es so eine gewisse Text-Kontinuität erzeugt und dass man sehr intensiv mit den einzelnen Textteilen umgeht, also - insgesamt denke ich - also überarbeite ich Texte mindestens zehnmal.

Kulturspezifika

Die Schwierigkeiten können ganz verschiedener Art sein. Die Schwierigkeiten können in den Realien liegen, das ist eine Welt, in der ich mich gleich nicht sehr gut auskenne, also zum Beispiel Schifffahrt, Seefahrtsausdrücke, solche Dinge. Ich komme aus Süddeutschland und habe mit Meer und ähnlichen Dingen ja überhaupt nie was zu tun gehabt und es gibt dafür in Süddeutschland auch praktisch keinen guten Wortschatz. Sehr schwierig finde ich auch Argo, einen Argo wiederzugeben, der, wenn er regionale Färbungen hat, was in Griechenland sehr viel der Fall ist - dass der in Deutschland - der ist dann in Deutschland regional nicht anzusiedeln, das heißt, man muss da so eine Art neutrale Färbung für irgendeinen Argo finden, der in Deutschland eher dialektale Einschläge hätte, und wenn er dialektale Einschläge hat, dann wird er wieder regional festgelegt und das wiederum würde dann das griechische Element sehr stark stören, also da muss man oft so gewisse Abstriche machen, also mir würden dann für manche Lösungen bayerische Sachen einfallen, das geht aber überhaupt nicht, also Kosewörter, solche Sachen, die haben im Deutschen ja sehr häufig einen dialektalen Einschlag und man muss da sehr aufpassen, dass er eben nicht so stark regional festgelegt wird und muss da Lösungen finden, die ein bisschen allgemeiner sind und das nimmt der Sprache manchmal einer Farbe, die sie im Griechischen hätte. Das finde ich manchmal etwas schade, aber da sind so die Verzichte, die man bei Übersetzungen generell machen muss, es sind die Verluste. Ich schmuggle manchmal auch ein bisschen ein eigenes Vokabular rein, ich erinnere mich, dass bei Amanda Michalopoulous' Übersetzung der Bruder zur Schwester so ein Kosewort hat, Camilo sagt er zu ihr, weil sie so hoch gewachsen ist, und ich habe einen ganz dünnen langen Sohn gehabt und den habe ich Giraffe genannt und das habe ich dann rein getan und das sind so manchmal meine kleinen persönlichen Zutaten, über die ich mich dann freue, wenn ich den Text wieder lese, das ist dann so etwas ganz Privates, was eingestreut wird. Sehr schwierig sind natürlich auch die griechischen Gegebenheiten, also kulturspezifische Dinge, wie man die in den Text einbaut, also nicht so erklärend, dass man da die richtige Art findet, dass der deutsche Leser einen Zugang bekommt zu diesen Kulturspezifitäten ohne dass er zu viele Erklärungen dazu bekommt, weil die Erklärungen den Text immer stören. Und das ist ein spezifisches Problem, was aber auch jedes Mal anders gelöst werden muss.

Einbürgerung vs. Verfremdung

Also ich glaube, dass das Spannungsfeld zwischen „wie viel Fremdheit lasse ich zu“ in meine Übersetzung auch jedes Mal anders gelöst werden muss, also es gibt Übersetzer, es gibt ja eine Handke-Übersetzung von -ich glaube- Aischylos, die bewusst mit der Wortfolge der Griechischen arbeitet, mit der Wiedergabe der Syntax, und es gibt Übersetzer die sehr stark dieses fremde Element in der Übersetzung vertreten. Das vertrete ich nicht so sehr. Ich glaube, dass der deutsche Text, was die Fremdheit des Textes betrifft, eine Art äquivalent sein sollte, das ist es so meine Auffassung. Das heißt, wenn im Griechischen dieser Text für griechische Leser keinerlei Fremdheitselemente enthält, dann sollte er, finde ich, für die deutschen Leser im Deutschen auch keine Fremdheitselemente enthalten. Wenn aber im Griechischen der Leser durch den Text - auch etwas ja Fremde, ein Fremdheitsgefühl bekommt oder durch die Wortwahl, oder durch die Syntax, dann muss sich das im Deutschen selbstverständlich auch widerspiegeln, das heißt, der deutsche Text muss auch entsprechend fremde Elemente oder ungewöhnliche Elemente enthalten. Ich würde das an der Äquivalenz festmachen. Also ich finde nicht, dass der deutsche Text für den deutschen Leser mehr Fremdheit enthalten sollte als der griechische Text für den griechischen Leser, weil ich eigentlich, also ich sehe die Übersetzung als eine Art Spiegelbild in der anderen Sprache an.

Kann Literaturübersetzen unterrichtet werden?

Was die Lehrbarkeit von Literaturübersetzung betrifft, dann glaube ich, besteht sie vor allem darin, dass man die Reflexion über den Text anregt. Ich habe bei meinen Seminaren sehr stark damit gearbeitet, dass ich zum Beispiel etwas mangelhafte Übersetzungen untersucht habe, mit den Übersetzern, die das lernen wollen, und dass wir überlegt haben, woran liegt es, dass eine Übersetzung nicht glückt. Also wo sind die Punkte, wo die Übersetzung versagt hat und es können ganz verschiedene Punkte sein. Wir hatten einmal eine Übersetzung, es war, eine Liebesgeschichte und die bestand sehr stark aus visuellen Kontakten, das heißt die Blickrichtung dessen, der erzählte, es war so ein etwas sexualisierter Man, der sah eine schöne Frau auf dem Schiff und guckte ihr immer nach und in der Übersetzung waren diese Blickrichtungen nicht drin. Ich fand es ganz eklatant, dass dieses permanente Nachgucken in verschiedenen Richtungen und das Licht und die Erscheinung dieser Person nicht genügend nachempfunden worden war. Und wir haben dann versucht daraus eine andere Übersetzung zu machen, wo diese Elemente drin sind. Das heißt, eine Übersetzung kann ja in vieler Hinsicht scheitern. Man kann zum Teil auch das Wesentliche von einem Text übersehen haben. Das kann einem natürlich passieren. Und ich glaube, dass Unterrichten vielleicht darin bestehen muss, dass man sich überlegt, was macht die Essenz des Textes aus. Was will der Text als Hauptsache transportieren, aber dann auch mit welchen Mitteln und worauf legt er besonders Wert. Also das heißt, ich glaube nicht, dass es eine grundsätzliche Theorie gibt, die weiter hilft, aber dass man an der Praxis arbeitet, dass man verschiedene Versionen von Übersetzungen erarbeitet und vergleicht und dass man daran die verschiedenen Möglichkeiten sieht und vielleicht auch eine beste herausfindet. Woran ich überhaupt nicht glaube, muss ich gleich dazu sagen, sind Gruppenübersetzungen, weil ich eben glaube - das knüpft jetzt wieder an die Frage des sichtbaren oder unsichtbaren Übersetzers an - dass es diesen unsichtbaren Übersetzern nicht gibt, sondern dass jeder seine ganz persönliche Stilfarbe in den Text reinbringt, denn der Autor selber ist ja auch keine unsichtbare Person; er hat ja seine ganz ganz persönliche Farbe im Text drin und es muss eine Art von persönlicher Farbe in einem Text sein, damit er lebt, damit er lebendig wird und damit er sich vermittelt.

Lektorat

Mit Lektoren habe ich ganz verschiedene Erfahrungen gemacht, zum Teil wunderbare. Also meine schönste Erfahrung war eigentlich Soti Triantafillou's Bleistiftfabrik. Da habe ich mich mit der Lektorin, die in Berlin lebte und eine unabhängige Lektorin für Hanser war, zusammengesetzt und wir haben in zwei Tagen das ganze Buch in einem Rutsch durchgearbeitet. Sie war von meiner Übersetzung sehr begeistert - das ist natürlich immer eine wunderbare Voraussetzung - und wir waren uns auch einig, welche Schwerpunkte die Übersetzungsarbeit als solche hat, das heißt, dass ich viele Dinge aus rhythmischen Gründen so gemacht habe, wie ich sie gemacht habe, was manchen anderen Lektoren nicht auffällt, das heißt, die hatte auch so die Makrostruktur meiner Übersetzung im Auge und hat deshalb auch verstehen können, warum ich manche ihrer Änderungen nicht akzeptiert habe. Die habe ich zum Teil aus rein rhythmischen Gründen verworfen. Sie war sehr genau, sie hat Daten nachgeprüft, sie hat Personendaten nachgeprüft, und ich konnte mich darauf verlassen dass sie unter Umständen auch so Realien-Fehler findet, was für einen Übersetzer ein wunderbarer Hintergrund ist, weil das manchmal einem passiert, dass einem das durchschlüpft, dass man in Realien einen Fehler macht. Und das ist sehr, sehr hilfreich wenn da jemand Zweiter noch mal nachkorrigiert.

Also bei dem Christos Ikonomou war es so, dass es ein Text ist, der sehr männlich charakterisiert ist, einen gewissen Macho Ton, einen männlichen Argo hat und in dem Fall hätte ich mir unter Umständen einen männlichen Lektor gewünscht, der dieses Element sehr viel stärker vertritt. Das war nicht der Fall, ich hatte eine weibliche Lektorin, die diese Elemente eher abgeschwächt hat, weil sie fand, wenn da zu viel Kraftausdrücke drin sind, der Text eventuell die Leser etwas stören könnte, das ist vielleicht auch ein bisschen in Richtung Lesbarkeit gegangen. Die hat auch die mündlichen Elemente des Textes etwas stärker eliminiert und hat den sozusagen auf eine etwas höhere literarische Ebene heben wollen. Ich fand, dass in dem griechischen Text dieses mündliche Element sehr stark ist, und das hat sie zum Teil etwas eliminiert. Ich hab das teilweise akzeptiert und teilweise nicht, das heißt, der Text ist ein bisschen anders geworden. Was sich völlig verändert hat, ist die Syntax, denn Ikonomou hat so gut wie keine Kommas und Punkte. Das ist sehr atemlos auch vom Textbild geschrieben und das fand die Lektorin sehr wenig lesbar, also kamen Punkte und Kommas rein. Andererseits ist meine Übersetzung sehr, sehr positiv beurteilt worden, auch bei Lesungen und das wurde ausdrücklich auch von Moderatoren erwähnt, was dann vielleicht wieder die Stellung des Verlages stärkt.

Die Lektoren können kein Griechisch, aber sie sind natürlich erfahrene Textleser, also man nennt die immer "blinde Lektoren", wenn sie die Sprache nicht können. Ich finde sie nicht immer so blind, weil sie natürlich im Deutschen sehr viele Feinheiten spüren und ein guter Lektor findet auch Übersetzungsfehler, weil die oft aus der Kongruenz des Textes irgendwie rausfallen, das heißt die bringen irgend so ein fremdes Element, sie stimmen inhaltlich nicht hundertprozentig und dann wird oft gefragt, kann das sein, dass Sie sich da geirrt haben, und sie haben muss ich sagen, oft recht.

Verlagswesen

Vom Übersetzer wird häufig auch verlangt oder erwartet, gerade in kleinen Sprachen, dass er so eine Art Rolle auch als Literaturvermittler spielt. Ich selber spiele diese Rolle nicht wahnsinnig gern. Ich finde das sehr sehr anstrengend. Wenn ich irgendwie kann, konzentriere ich mich sehr gern auf das Übersetzer-Geschäft als solches. Es ist aber trotzdem, bin ich natürlich interessiert, dass bestimmte Bücher die mir am Herzen liegen irgendwie an Verleger kommen und da bemühe ich mich dann auch sehr, dass ich da irgendwelche Verbindungen, die ich habe, ausnütze und dass ich irgendwelchen Verlegern Bücher empfehle, dass ich Gutachten schreibe selbstverständlich. Ich schreibe auch für Lektoren, mit denen ich eng zusammenarbeite, mit denen ich ein Vertrauensverhältnis habe, Gutachten, und mache Vorschläge. Es ist etwas schwieriger für Verlage, etwas vorzuschlagen, mit denen man überhaupt keine Verbindung hat. Das mache ich nicht so wahnsinnig gern, also ich setze in diesem Geschäft sehr auf persönliche Verbindungen, weil da so eine Art Vertrauensverhältnis entsteht, das heißt man entwickelt unter Umständen, wenn man sehr viel Glück hat, auch eine kleine Verlagsbindung und hat dann innerhalb des Verlags auch die Möglichkeit Bücher vorzuschlagen und es wird dann auf einen auch ein bisschen besser gehört.

Übersetzungskritik

Mit Literaturkritik habe ich relativ wenig zu tun, natürlich freue ich mich, wenn ein Buch gute Kritiken bekommt und wenn womöglich, was relativ selten ist, sogar noch der Übersetzer ausdrücklich erwähnt wird. Es ist aber leider auch so, dass Bücher die gute Kritiken bekommen haben, sich nicht unbedingt besser verkaufen. Also es entsteht auch immer mehr, glaube ich, ein Gegensatz zwischen Bestsellern, die sich gut verkaufen und Büchern, die gute Kritiken kriegen. Das muss nicht unbedingt parallel laufen. Also der Matessis hatte damals sehr gute Buchkritiken bekommen und hat sich deshalb nicht unbedingt sehr viel besser verkauft, weil es ein relativ schwieriges Buch ist, und Leser lieben die schwierigen Bücher ja nicht so sehr, vor allem wenn sie sehr komplizierte Inhalte haben oder sehr traurige Inhalte. Das widerspricht sich manchmal ein bisschen. Mit Kritikern persönlich habe ich überhaupt keine Verbindung. Das ist so ein Feld, das vollkommen getrennt von mir läuft eigentlich, und mit Agenten habe ich bis jetzt auch so gut wie keine Erfahrungen, das heißt entweder arbeite ich mit Verlagen zusammen und mit Lektoren oder es wird an mich herangetreten, mir wird ein Vorschlag gemacht.


Zum Interview

Ort: Thessaloniki
Datum: 13. September 2014
Interviewerin: Anthi Wiedenmayer
Übersetzung: Anthi Wiedenmayer
Untertitel:
Stavrula Tsiara
Kamera und Schnitt:
Apostolos Karakasis
Lizenz: CC BY-NC-ND 3.0 DE

Zitiervorschlag: Anthi Wiedenmayer, "Interview mit Birgit Hildebrand", Übersetzerporträts, Freie Universität Berlin/CeMoG, Berlin, 2016, http://www.cemog.fu-berlin.de/ue-portraets