Springe direkt zu Inhalt

#Editorial

14.01.2020

Franciszek Czyż (Bild, mit freundlicher Genehmigung von Moshe Ha-Elion)

Franciszek Czyż (Bild, mit freundlicher Genehmigung von Moshe Ha-Elion)

Moshe Ha-Elion, 95-jähriger Überlebender des Holocaust aus Thessaloniki und Mitglied des Yad Vashem-Direktoriums, blickt von seinem Appartement bei Tel Aviv auf das offene Mittelmeer und spielt uns „La Djovenika al Lager“ vor. „Dieses Lied“, geschrieben für seine in Auschwitz ermordete Schwester Esther (Nina), „soll auf der ganzen Welt gehört werden“, sagte er, als er erfuhr, dass das Codex Ensemble im Henry-Ford-Bau im Rahmen der CeMoG Lecture #06 sephardische Musik spielte.

Moshe überlebte Auschwitz vor allem wegen der griechischen Sprache, die im wahrsten Sinne des Wortes sein täglich Brot wurde: Er brachte einem „polnischen Professor“ Griechisch bei, der ihn zum Dank mit Nahrungsmitteln versorgte. Moshe hielt diese Geschichte in seiner Autobiographie fest. Aus der vierten, in Englisch überarbeiteten Fassung, veröffentlichen wir anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung des Lagers Auschwitz-Birkenau einen Auszug in deutscher Übersetzung. Am 27. Januar 2020 wird Moshe Ha-Elion vor Ort sein.

Ο Μοσέ Αελιών, Εβραίος της Θεσσαλονίκης που επέζησε του Ολοκαυτώματος, έχει συγγράψει την αυτοβιογραφία του στα εβραϊκά, η οποία θα κυκλοφορήσει στην τέταρτή της έκδοση και στα ελληνικά. Με αφορμή την επικείμενη τελετή μνήμης για τα 75 χρόνια μετά την απελευθέρωση του στρατοπέδου συγκέντρωσης στο Άουσβιτς-Μπίρκεναου στις 27 Ιανουαρίου 2020, δημοσιεύουμε το απόσπασμα «Ο Πολωνός καθηγητής» από την αυτοβιογραφία του σε γερμανική μετάφραση του Κώστα Κοσμά.

Der polnische Professor

Eines Tages hatte ich eine Diskussion – wenn man überhaupt die Kommunikation nur durch Gestikulieren eine Diskussion nennen kann – mit einem der weiteren Insassen. Es war ein polnischer Christ. Er fragte mich, woher ich stammte, und als er hörte, dass ich aus Griechenland kam, schien er ein besonderes Interesse zu zeigen. Er fing an, mich nach meiner Schulbildung zu fragen. Er war generell interessiert an den Sprachen, die ich gelernt hatte. Ich sagte ihm, dass ich auf ein Gymnasium gegangen war und erzählte, welche Fächer ich dort hatte. Was die Sprachen angeht, sagte ich ihm, dass ich Altgriechisch und Französisch als Fremdsprache ab dem ersten Schuljahr sowie Latein ab dem dritten gelernt hatte. Dann sagte er mir, er sei Professor für Altgriechisch an einer polnischen Universität gewesen. Er wollte wissen, ob der Unterschied zwischen dem Alt- und dem Neugriechischen groß sei. Ich erklärte ihm einige der Unterschiede. Er sagte dann, er möchte gerne Neugriechisch lernen und fragte, ob ich ihm gleich einige Stunden geben könnte. Ich sagte, dass ich dazu bereit sei, allerdings müssten wir davon ausgehen, dass es ohne Lehrbücher nicht einfach wäre.

Wir setzten uns sofort an den Tisch und die erste Unterrichtsstunde begann. Er zeigte auf ein Objekt auf dem Tisch oder irgendwo in der Nähe, ich sagte ihm den griechischen Namen dazu und er notierte es in sein Notizheft in griechischer Schrift. Am Ende der Unterrichtsstunde gab er mir ein Stück Kuchen, ein Nahrungsmittel, das ich seit dem Tag, an dem wir ins KZ gebracht wurden, noch nie gesehen hatte. Ich wunderte mich, wie ein Inhaftierter so eine Nahrung in so einer Menge besitzen konnte, die es ihm erlaubte, sie mit anderen zu teilen. Später erfuhr ich, dass verschiedene Kategorien von Inhaftierten, unter ihnen auch christlich-polnische politische Gefangene, das Privileg genossen, Briefe und Pakete mit Nahrungsmitteln von ihren Verwandten zu empfangen und ihnen auch zu antworten.

Am nächsten Tag kam er mit einem kleinen polnischen Bildwörterbuch in der Hand zu mir und schlug vor, dass wir damit in unserem Unterricht arbeiteten. Und so machten wir es. Im Unterricht übersetzte ich ihm Wörter oder Bilder ins Griechische, die er mir im Wörterbuch zeigte. Für die nächsten paar Tage, bis ich den Häftlingskrankenbau verließ, trafen wir uns täglich für ein oder zwei Stunden zum Unterricht. Nach jeder Unterrichtsstunde gab er mir immer irgendein Nahrungsmittel: Brot, Kuchen, Kekse, Obst und andere solche Dinge. Ich brauche nicht zu sagen, dass eine solche Versorgung in der Welt des KZ weit wertvoller war als Gold. Ich muss aber sagen, dass der Professor das, was ich ihm beibrachte, schnell lernte und dass wir nach wenigen Tagen in der Lage waren, einige kurze Sätze auf Griechisch auszutauschen.

Nachdem wir den Krankenbau verlassen hatten, ging ich einmal in der Woche zu Block 4, wo er lebte, um ihm weiterhin Griechisch-Unterricht zu geben. Bei dieser Gelegenheit brachte ich ihm weiteres Material mit – eine Geschichte oder ein Lied, an das ich mich aus Schulzeiten erinnern konnte oder selber komponiert hatte – ich hatte es in den Tagen vor dem Unterricht aufgeschrieben und wir arbeiteten uns dann durch. Am Ende gab er mir immer was zum Essen. Klar, die Vorbereitung des Materials war nach Stunden harter Lagerarbeit nicht einfach und verlangte mir viel Mühe ab, doch die Gegenleistung war äußerst wertvoll.

Meine Besuche in diesem Block wurden mit der Zeit eine ziemlich bekannte Angelegenheit, und wenn ich dort für den Unterricht ankam, hörte ich oft einen der Häftlinge zum Professor sagen: „Panic (Meister) Schisch oder Chisch, Dein ‚Greko‘ ist angekommen“.

Mein Unterricht mit dem Professor und die Gegenleistung, die er mir gab, gingen weiter, auch während der ein oder zwei Male, an denen ich wieder im Krankenbau war. Dann kam er einmal für einige Tage und brachte das „Material“ mit, das ich für ihn vorbereitet hatte. Natürlich vergaß er nie, mir Essen mitzubringen.

Die Ergebnisse unseres Unterrichts waren zufriedenstellend und nach wenigen Monaten waren wir in der Lage, uns problemlos auf Griechisch zu unterhalten. Mein Kontakt mit dem Professor wurde unterbrochen, als er im Juni 1944 aus Auschwitz weggebracht wurde.

 

Ich wurde und werde nach wie vor oft gefragt, wie ich in den Vernichtungslagern überleben konnte. Auf diese Frage habe ich keine Antwort. Aber zweifelsohne hat die Versorgung mit Essen durch meinen „Schüler“ wesentlich dazu beigetragen. Was mich anbelangt, so frage ich mich oft: Bildete nicht die Tatsache, dass er ein Kleriker war die Grundlage dafür, dass sich unsere Wege kreuzten, und lag in dem, was er für mich tat, nicht die Verwirklichung des Traumes, den ich in den Tagen der Entwurzelung so oft von meinem Zuhause hatte? Als ich nach meiner Befreiung an den Professor dachte und realisierte, wie wenig ich von ihm wusste, machte ich es mir zur Aufgabe, so viele Informationen über ihn wie möglich zu bekommen – angefangen von seinem richtigen Namen, und ob er die Lager überlebt hatte und noch am Leben war.

Anfang 1987, ich hatte bereits angefangen, an diesem Buch auf Hebräisch zu schreiben, hatte ich die Gelegenheit, mit einer Gruppe von Mitgliedern unserer „Organisation der aus Griechenland kommenden israelischen Überlebenden der Vernichtungslager“ nach Polen zu reisen.

Eines Tages, wir waren auf dem Rückweg von einem Besuch in Treblinka nach Warschau, hatte ich ein Gespräch mit unserem polnischen Busfahrer, dem ich die Geschichte mit dem polnischen Professor erzählte. Er behauptete, den Namen Schisch oder Chisch nie gehört zu haben und dass es sich dabei sicherlich um eine Verwechslung handelte. Wie dem auch sei, es gebe einen Czerankewicz, der, soweit er wisse, noch am Leben und Präsident irgendeiner Friedensvereinigung sei. Später, im Hotel, bat ich ihn herauszufinden, ob es irgendwie möglich wäre, an die Telefonnummer von Czerankewicz zu gelangen. Er meinte, Czerankewicz’ Telefonnummer sei nicht über die Auskunft zu ermitteln und dass es keine Möglichkeit gebe, sie ausfindig zu machen.

Da ich mich in einer Sackgasse sah, sprach ich über diese Angelegenheit mit Dr. Beker, dem Direktor des World Jewish Congress in Israel, der mit seiner Frau angereist war und plante, sich in ein oder zwei Tagen mit einem jüdischen Parlamentsabgeordneten zu treffen. Ich fragte ihn, ob er sich während dieses Treffens auch um meine Angelegenheit kümmern könne, und ich schrieb ihm, wie verlangt, die wichtigsten Eckpunkte auf. Als er von dem Treffen zurückkam, sagte er mir, dass er zwar mit dem Abgeordneten über die Angelegenheit gesprochen habe, jedoch ohne greifbares Ergebnis.

In den folgenden Jahren setzte ich meine Korrespondenz mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau fort. In einer schriftlichen Antwort hieß es, der Name Shish sei nicht bekannt. Am 31. Augst 1993 erhielt ich einen weiteren Brief vom Museum, bezüglich der Auschwitz-Gefangenen mit dem Namen Czyż, aber aus den Informationen über diese Personen wurde mir klar, dass der Mann, den ich suchte, nicht unter ihnen war.

1997 erhielt ich nach meiner Anfrage an das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau eine Liste derer, die zusammen mit mir im Juni 1943 im Krankenbau interniert waren. Leider konnte ich den Namen Czyż nicht finden.

Im Juni 2002 tagte das Internationale Auschwitz-Komitee, dessen Mitglied ich war. Ich nutzte die Gelegenheit und sprach mit Herrn Andrzej Strzelecki vom Staatlichen Museum und gab ihm auf seine Bitte hin die Geschichte schriftlich. In einem Brief, den ich später in Israel erhielt, schrieb er mir, dass sie keinen in den Archiven des Krankenbaus identifizieren konnten, der zu meiner Beschreibung passte ... Ich suchte nicht mehr weiter nach dem Professor.

Und jetzt, am 23. Juli 2006, ruft mich meine Tochter Rachel an und sagt: „Ich habe den Professor gefunden. Schau in die E-Mail, die ich Dir geschickt habe.“ (Später sagte sie mir, dass sie die Geschichte mit dem polnischen Professor immer faszinierte und dass sie mit dem Auschwitz-Museum korrespondierte, ohne dass ich etwas davon wusste).

Lieber Herr Haelion,

Auf der Grundlage der Daten, die Sie uns übermittelt haben, haben wir unvollständige Aufzeichnungen des KL Auschwitz geprüft, die in unserem Archiv aufbewahrt werden.

Wir identifizierten einen Eintrag über Czyż, Franciszek, geb. am 10. Oktober 1910 in Wielka Wisla, Mönch, deportiert am 15. September 1942 aus Radom ins KL Auschwitz.

Er wurde als polnischer politischer Gefangener registriert und erhielt die Lagernummer 63662.

Aus seinen Lagerbriefen wissen wir, dass er im Hauptlager (KL Auschwitz I) in den Blöcken Nr. 4, 16, 17a, 20 inhaftiert war.

Am 24. Juni 1944 wurde er vom KL Auschwitz zum KL Buchenwald verlegt; 1945 von der sowjetischen Armee befreit.

Wir können nicht bestätigen, ob es sich bei der oben genannten Person um die gesuchte handelt.

Sollten Sie Fragen oder Bedenken dazu haben, zögern Sie bitte nicht, uns zu schreiben.

Mit freundlichen Grüßen

Szymon Kowalski

Auskunftsamt für ehemalige Häftlinge des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau

Nachdem ich diese Details gelesen hatte, war ich sicher, dass es sich um meinen Professor handelte.

Am 23. November 2017 fand meine Tochter Rachel nach einer Recherche auf der Internetseite des Parmoniski-Klosters in Polen folgenden Artikel über Czyż, den Professor:

Czyż Franciszek (Czysch Francis), Ordo Fratrum Minorum (1910-1958), religiöser Name: Anselm, Rektor des Seminars.

Geboren am 10. Oktober 1910 in Wisla, in die Familie Philip und Anna d. Osińska. Nach dem Abschluss der Grundschule 1922 schloss er sich den Franziskanern in Panewnikach an, mit Genehmigung seiner Eltern, da minderjährig. Er besuchte das altsprachliche Gymnasium Adam Mickiewicz in Katowice. Nach dem Abitur im Jahr 1928 trat er in das Franziskaner-Noviziat in Wielun ein. Er studierte Philosophie und Theologie in Wronki, 1932 wurde er dort eingestellt. 1934 wurde er in Posen zum Priester geweiht.

Bereits während seines Theologiestudiums besuchte er Kurse der klassischen Philologie an der Universität Posen. Um sein Diplom auf Lehramt zu bekommen, hospitierte er in Schulen in Pozen. Ab Oktober 1938 studierte er klassische Sprachen am Franziskanerseminar […] in Kobylin (Kreis Krotoszyn).

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde er im Dezember 1939 ins Generalgouvernement versetzt. Er lebte im Bernhardiner-Kloster in Radom, unter dessen Gastfreundschaft die Seminaristen im Verborgenen lernen und lehren konnten. Von Dezember 1941 bis Januar 1942 war er im Pawiak-Gefängnis in Warschau und von Juli bis September 1942 in Radom inhaftiert. Von September 1942 bis Mitte Juli 1944 war er Auschwitz inhaftiert. […] Er übersetzte ins Polnische und publizierte mehrere religionswissenschaftliche Werke. Er verstarb am 24. Mai 1958 infolge eines Verkehrsunfalls in Trzebniza.


Aus der Autobiographie von Moshe Ha-Elion.
Übersetzt aus dem Englischen von Kostas Kosmas.

Moshe Ha-Elion pflegt das Ladino, unter anderem mit seiner Übersetzung der Ilias und der Odyssee in seiner Muttersprache. Seine Autobiographie hat er im Hebräischen verfasst und arbeitet daran weiter; eine englische Übersetzung der zweiten hebräischen Ausgabe, herausgegeben von Ralph H. Herolzer, liegt seit 2005 beim Verlag Bibliopolis vor. Die vierte Ausgabe wird 2020 in Thessaloniki in griechischer Übersetzung erscheinen.