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Editorial: Im Hause Patrick Leigh Fermor

03.06.2022

Patrick Leigh Fermor

Patrick Leigh Fermor

Haus Fermor, Kardamyli

Haus Fermor, Kardamyli

Liebe Freund*innen des CeMoG,
Patrick Leigh Fermor (1915–2011), Privatgelehrter und Abenteurer, wurde durch seine Reiseliteratur, aber auch durch die filmreife Entführung des Generalkommandanten der deutschen Besatzer auf Kreta 1944 populär. Zusammen mit seiner Frau, der Fotografin Joan Monsell, ließ er ein Anwesen bei Kardamyli auf der Halbinsel Mani bauen. Dort hat das Paar für über 30 Jahre wichtige Persönlichkeiten der literarischen, künstlerischen und akademischen Kreise seiner Zeit empfangen.
Das Haus wurde noch zu Lebzeiten des Paares an das Benaki–Museum übertragen, nach dem Tod von P. L. Fermor durch Mittel der Niarchos–Stiftung aufwendig restauriert und dient heute als Aufenthalts- und Arbeitsstätte für Autor*innen und Wissenschaftler*innen, aber auch als Veranstaltungsort. Das CeMoG kooperiert mit dem Benaki-Museum für die Erschließung des Hauses Fermor im internationalen wissenschaftlichen Geschehen und hat dort bereits den Workshop „Akteure deutsch-griechischer Übersetzungskulturen“ (13.-17. Oktober 2021) organisiert, die Konferenz „Die Piraten und die Ökonomie des Meeres“ (11.-14. April 2022) in sein Programm aufgenommen und plant für den kommenden Oktober einen Workshop über das Werk des Autors Dimitris Nollas.
Auf der April-Konferenz präsentierte Frau Dr. Nadja Schäfer das Porträt von Patrick Leigh Fermor, das wir hier abdrucken.

Η Nadja Schäfer παρουσίασε ένα πορτρέτο του συγγραφέα Πάτρικ Λη Φέρμορ στο συνέδριο που πραγματοποιήθηκε στην Καρδαμύλη τον περασμένο Απρίλιο στα γερμανικά, το οποίο παρουσιάζουμε.

Patrick Leigh Fermor und Griechenland:
Eine biographische Skizze

1. Wanderung nach Konstantinopel

9. Dezember 1933: Ein junger Mann, 18 Jahre alt, fast 19, bricht in London zu einer Wanderung nach Konstantinopel auf; Konstantinopel - so wird Patrick Leigh Fermor die Stadt Istanbul zeitlebens nennen. Er trägt einen warmen Armeemantel, in seinen Rucksack (auch aus Armeebeständen) packt er Wechselwäsche, Flanellhemden aber auch zwei feine weiße Hemden, einen Schlafsack (den er bald verliert), Blöcke und Stifte, das Oxford Book of English Verse und eine Horaz-Ausgabe.

Was trieb ihn?: Patrick Leigh Fermor, hatte 1933 eine wechselvolle Schulkarriere hinter sich, über die er im Rückblick schreibt (ich übersetze): „Voller Disziplinprobleme, wie Raufereien, nachts aus dem Fenster Steigen, Bücher Verlieren“ (discipline problems ... like fighting, climbing out at night, losing my books). Er war von zahlreichen Schulen, darunter sehr renommierten, verwiesen worden, der Schulleiter einer dieser Schulen bezeichnete ihn als „eine gefährliche Mischung aus kultivierter Gewandtheit und Leichtsinn“ (a dangerous mixture of sophistication and recklessness).[i]

Als Externer hatte er im Sommer 1933 mit Hilfe eines ihm sehr gewogenen Privatlehrers den Schulabschluss erworben, wollte zunächst in die Armee eintreten (Sandhurst war geplant), dann Schriftsteller werden. Er teilte mit anderen jungen Männern eine Wohnung (WG würden wir heute sagen) in London, wurde ein sehr junger Teil der Partyszene in London. Die finanzielle Unterstützung durch seinen Vater, einen wissenschaftlich rennomierten, in Indien tätigen Geologen, war bescheiden – Patrick Leigh Fermor hoffte auf ein Einkommen durch schriftstellerischen Erfolg, doch dies stellte sich leider nicht ein.

Er selbst beschreibt seine Stimmung im Winter 1933 später so: „Alles erschien mir plötzlich unerträglich, widerlich, trivial; ich war rastlos... Ich verabscheute plötzlich Partys, verachtete jeden, vor allem mich selbst... Ein neues Leben! Freiheit! Etwas, worüber man schreiben kann!“ (Everything suddenly seeming unbearable, loathsome, trivial, restless... Detestation, suddenly, of parties. Contempt for everyone, starting and finishing with myself... A new life! Freedom! Something to write about!)[ii]. Ein Rezensent seiner Bücher kommentiert seine Motive so: „Es war die jugendliche Neugier auf die weite, unbekannte Welt; die Furcht, die Möglichkeiten seines Lebens zu versäumen, die den Achtzehnjährigen aus seinem als öde und nutzlos empfundenen Londoner Schülerdasein getrieben hatte.“[iii] Patrick Leigh Fermor (von seiner Freunden und Fans Paddy genannt) brach auf zu seiner einsamen Reise in romantischer Armut.

Wie standen seine Eltern dazu? Die Horazausgabe in seinem Gepäck hatte seine Mutter ihm vor der Abreise geschickt; sie hatte auf das Vorsatzblatt als Widmung sechs Verse des Petronius geschrieben:

 

Linque tuas sedes alienaque litora quaere,

o iuvenis: maior rerum tibi nascitur ordo.

Ne succumbe malis: te noverit ultimus Hister,

te Boreas gelidus securaque regna Canopi,

quique renascentem Phoebum cernuntque cadentem:

maior in externas fit qui descendit harenas.

Verlasse deine Heimat und suche fremde Ufer auf,

junger Mann: Eine größere Ordnung der Welt entsteht dir.

Ergebe dich nicht dem Unglück: Dich wird der weit entfernte Unterlauf der Donau kennenlernen,

der kalte Nordwind und das geschützte Reich des Kanopus,

und die Menschen, die die aufgehende Sonne und ihren Untergang betrachten:

Wer an entfernten Stränden an Land geht, wird größer. 

 

Patrick Leigh Fermor stellte diese Verse 40 Jahre später an den Beginn seiner Reisebeschreibung.

Seinen Vater, der in Indien war, unterrichtete Leigh Fermor zunächst nicht von seinen Plänen, sondern stellte ihn mit einem Brief, den er von unterwegs aus Köln verschickte, vor vollendete Tatsachen. An finanzieller Unterstützung erhielt er weiterhin 1 Pfund/Woche (in heutiger Kaufkraft wären das ca. 75 Pfund oder 90 Euro/Woche. Also ganz mittellos war er nicht, aber große Spünge kann man damit auch nicht machen.

Er bestieg am Hafen an der Tower Bridge in London (nicht in Dover) ein Schiff und setzte nach Hook van Holland über, wanderte den Rhein hinauf, querte im Bereich des heutigen Baden-Württemberg zur Donau, und reiste nicht genau an ihr entlang, aber ihr in etwa folgend durch die jungen Staaten der ehemaligen K.u.K.-Monarchie und des ehemaligen Osmanischen Reiches, durch Österreich, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Am 31. Dezember 1934 erreichte er schließlich Konstantinopel. Er war ein Jahr und 21 Tage unterwegs gewesen.

Fast wäre das Abenteuer bereits in München vorbei gewesen: In der Jugendherberge wurde ihm sein Rucksack mit seinem Pass und 4 frischen Pfundnoten gestohlen. Patrick Leigh Fermor sah schon das Ende der Reise gekommen. Doch der britische Konsul stellte ihm einen neuen Pass aus und lieh ihm 5 Pfund.

Er hatte Umwege gemacht: Als ihm ein Freund in Pressburg erklärte, er müsse die alte Hauptstadt Böhmens sehen, wenn er Mitteleuropa kennenlernen wolle, und ihn zu seinen Eltern nach Prag einlud, wo diese ein Bankhaus hatten, reisten sie zusammen im Schlafwagen dorthin.[iv]

Es war allein durch Europa gewandert – aber einsam war er nicht gewesen: Er besaß die wunderbare und verführerische Gabe, rasch Freundschaften zu schließen. Er hatte in Hütten, Heuschobern oder bei der Heilsarmee übernachtet, hatte sich mit Kneipenwirten, Roma oder Bauern unterhalten, – hin und wieder war er aber auch bei gastfreundlichen Bekannten, in eleganten Herrenhäusern und bei britischen Konsuln eingekehrt. Denn als ein noch größeres Kapital als die Pfundnoten erwiesen sich drei Empfehlungsschreiben, die ihm seine Londoner Vermieterin an deutsche Bekannte mitgegeben hatte: Die hießen ihn willkommen, er konnte bei ihnen übernachten, und sie gaben ihm weitere Empfehlungsschreiben mit.

In Ungarn lieh man ihm sogar ein Pferd, auf dem er die Pußta durchquerte, an die Stelle von Scheunen traten Burgen und Landhäuser, aus dem harten Fußmarsch wurde immer wieder ein Ritt von Landsitz zu Landsitz. Er verbrachte Stunden in den Privatbibliotheken seiner Gastgeber, informierte sich über die Geschichte der Länder, die er durchreiste, er spielte mit ihnen Karten oder Fahrrad-Polo, unterhielt sich mit ihnen und genoss ihre Gastfreundlichkeit. Patrick Leigh Fermor erlebte auf diesem Teil seiner Reise durch das alte Ostmitteleuropa beglückende Begegnungen, die er lebhaft beschreibt.[v]

Doch dann ging es wieder zu Fuß weiter, mit Aufenthalten bei Hirten in den Bergen, in einfachen Gasthäusern oder bei Zufallsbekanntschaften, er begegnete Hirschen und beobachtete Adler und tanzte mit griechischen Seeleuten am Ufer des Schwarzen Meeres.[vi] Die letzte Etappe von Burgas in Bulgarien bis Istanbul reiste Patrick Leigh Fermor genesen von einer Malariainfektion mit dem Zug. Dies hatte ihn laut seinen damaligen Aufzeichnungen zunächst noch nicht sehr bedrückt, später (als er seine Reise zu einem Kunstwerk stilisierte) beklagte er es jedoch bitter und erwähnt es in seiner Reisebeschreibung nicht.[vii]

Sein Hauptwerk erzählt Jahrzehnte später von dieser Wanderung in drei Bänden:

Die Bücher gehören mittlerweile zu den Klassikern der Reiseliteratur, wie Johann Gottfried Seumes, Spaziergang nach Syrakus im Jahre (1802), Robert Byrons, The Road to Oxiana (1937), oder letztens Navid Kermanis, Entlang den Gräben (2018). Sie beschreiben seine Besuche in der bäuerlichen aber auch großbürgerlichen und aristokratischen Zwischenkriegswelt Ost-Mitteleuropas. Eine Welt, von der wir Leser und auch der Autor weiß, was der junge Reisende aber nicht weiß: dass ihr Ende bevorsteht. Wenige Jahre später war sie verschwunden.[viii]

Das Motto des ersten Bandes waren die Verse Petrons an den jungen Mann, die seine Mutter ihm gewidmet hatte; das Motto, das er 1986 dem zweiten Band seiner Reisebeschreibung vorausstellt, ist kein lateinisches, sondern ein deutsches Zitat: Er fand es in Schillers „Die Braut von Messina“:

 

Völker verrauschen,

Namen verklingen,

finstre Vergessenheit

breitet die dunkelnachtenden Schwingen

über ganzen Geschlechtern aus.

 

2. Der Zweite Weltkrieg

Zehn Jahre später war aus dem jungen Rucksacktouristen ein hochdekorierter Kriegsheld geworden, Major Patrick Leigh Fermor. Wie kam es dazu? Zentral war, dass er dem Balkan und vor allem Griechenland verbunden blieb. Im Rückblick wirken die viereinhalb Jahre bis zum Herbst 1939 wie eine Vorbereitung auf seinen Kriegseinsatz – doch für Patrick Leigh Fermor war es zunächst weiter eine Zeit des Sich Orientierens und Lernens, er driftete weiter.

15 Tage nach seiner Ankuft in Konstantinopel brach er wieder auf und reiste weiter nach Griechenland, in seinem Visum für Griechenland steht: „Er begibt sich nach Griechenland völkerkundlicher Studien wegen“ (μεταβαίνει είς Ελλάδα χαρίν λαογραφικῶν μελετῶν), und das war wohl auch nicht falsch.

Er bereiste die Klöster auf dem Berg Athos, die Bergregionen Nordgriechenlands, die Meteora-Klöster, verfolgte die Niederschlagung eines republikanischen Aufstandes und arbeitete sich langsam nach Süden vor.

In Athen lernte er Marie-Blanche (genannt Balasha) Cantacuzène aus einer griechischsprachigen rumänischen Adelsfamilie kennen. Sie stammte aus einer Familie von sogenannten Phanarioten, benannt nach dem griechischen Stadtteil Faner in Konstantinopel. Die adligen Cantacuzenen (griech.: Kantakouzenoi) hatten in den Ländern des Osmanischen Reichs auf dem Balkan Führungspositionen in Armee und Regierung innegehabt. Sie führten ihre Wurzeln (fiktiv oder nicht) auf den byzantinischen Kaiser Johann VI. Kantakouzenos zurück.

Die Familie besaß die rumänische Staatsbürgerschaft und hatte ausgedehnte Besitzungen in Rumänien, die Verbindung zu Griechenland war – wie bei anderen griechischsprachigen Adligen des osmanischen und russischen Reiches – aber bestehen geblieben. Balashas Urgroßvater, Alexandros Kantakouzenos[ix] hatte sich im Gefolge von Alexandros Ypsilantis und später Dimitrios Ypsilantis dem griechischen Freiheitskampf angeschlossen und 1821 auf griechischer Seite die Kapitulation der Türken in der Festung von Monemvasia entgegengenommen.

Patrick Leigh Fermor war von der Aura der Familie und der Frau fasziniert. Sie war damals 35 Jahre alt und hatte sich gerade von ihrem spanischen Ehemann getrennt. Vier Jahre war er ihr Lebensgefährte, zunächst in einer alten Wassermühle bei Galatas in Lemonodasos auf der Peloponnes, dann auch auf ihrem Familiengut in Baleni. Das Haus ist heute zerstört, nur noch das Mausoleum der Familie steht noch.

Sie fuhren durch das Land und ritten aus, Balasha malte, Patrick Leigh Fermor schrieb, las viel, beschäftigte sich mit der byzantinischen Geschichte und lernte Neugriechisch, Rumänisch, Bulgarisch. Er begann eine Beschreibung seiner Wanderungen, aber kam nicht recht voran; doch er übersetzte einen Roman eines Bekannten aus dem Französischen, was ihm – da das Buch in den USA ein Erfolg wurde – die für ihn ungeheure Summe von 800 Pfund an Einnahmen verschaffte, das erste selbstverdiente Geld aus schreibender Tätigkeit.[x]

Doch dann brach der Zweite Weltkrieg aus, im Radio hörten Balasha und er davon. Patrick Leigh Fermor, mittlerweile 24, ließ alles liegen, nahm kaum Abschied, noch im September reiste er nach London zurück und meldete sich zur Armee, zunächst in einem Garderegiment (wo er als „unterdurchschnittlich“ eingestuft wurde[xi]); 1940 wurde er für den Nachrichtendienst und die Special Operations Executive (SOE), rekrutiert[xii].

Viel mehr als das Heer entsprach dieser Einsatz seinem Individualismus und seinem Abenteuergeist, hier konnte er seine Stärken einsetzen, seine Kenntnis des Landes, seine Beherrschung mehrerer europäischer Sprachen einschließlich des Neugriechischen, seine Bereitschaft Risiken einzugehen, und seinen Charme, der es ihm möglich machte, schnell Beziehungen zu Menschen aufzubauen.

Seine Armeeakte ist erhalten und publiziert[xiii]: Er bezeichnet sich jetzt als „Autor“;als Qualifikation nennt er das Studium der byzantischen Geschichte, Griechenlands und der Balkanländer; die Sprachen, die er in Wort und Schrift gut oder sehr gut beherrscht sind Französisch und Deutsch, dazu Griechisch und Rumänisch und ein wenig Bulgarisch. Es überrascht nicht, dass die Liste der Länder, die er besucht hat, die im Formular vorgesehenene Zeilenzahl sprengt. Die Sportarten, die er beherrscht, Reiten, Schwimmen, Skifahren, Boxen – die „Gentleman’s sports“. Als Hobby steht, offenbar später nachgetragen, „Reisen“ „Geschichte“ „Soziologie“: Auch dies wenig überraschend, man erinnert sich an sein Visum für Griechenland: Er beobacht und notiert, was er sieht.

Im Herbst 1940 wurde er als Nachrichtenoffizier nach Griechenland entsandt und beobachtete den erfolglosen italienischen Versuch, Griechenland zu erobern. Als am 6. April 1941 der deutsche Angriff begann und die griechische Front im Norden rasch zusammenbrach, entkam er mit britischen Truppen über die Peloponnes nach Kreta.

Doch auch hierhin kamen die deutschen Truppen, am 20. Mai 1941 begann die deutsche Luftlandeoperation auf Kreta, eine Woche später wurde eine Großteil der 28.000 alliierten Soldaten[xiv] innerhalb von fünf Nächten von der Südküste Kretas nach Ägypten evakuiert. Unter ihnen war auch Patrick Leigh Fermor.

Ein Jahr später (am 23. Juni 1942) kam er, nach weiterem Training in Sabotagetechniken, mit einem Funker zurück auf die Insel. Doch die Stimmung innerhalb der griechischen Widerstandskämpfer (griechisch: „Andarten“) auf der Insel war schlecht: Sie erwarteten alliierte Unterstützung für den Aufbau einer Andarten-Armee als Basis für die Landung der Alliierten und einen gemeinsamen Aufstand gegen die Deutschen. Dies konnten die Briten zu diesem Zeitpunkt nicht befürworten: Kreta wurde von den Deutschen zur Nachschubbasis für den Afrika-Feldzug ausgebaut. Nach den Rückschlägen in Nordafrika wurde Kreta im Herbst 1942 zur „Festung“ erklärt, um einen Durchbruch der Alliierten von Südosten her, der die Ölversorgung aus Rumänien gefährtdet hätte, zu verhindern.[xv] Angesichts dieser verstärkten militärischen Präsenz der Deutschen auf der Insel schien den Briten der Einsatz an Menschen und Material zu hoch.[xvi]

Die Engländer waren jedoch bereit, Sabotageakte der Kreter zu unterstützen. Sie wollten damit die kretische Widerstandskämpfer auch für eine probritische Haltung gewinnen. Aber erste Sabotageakte im Mai 1942 hatten brutale Repressalien der Deutschen zur Folgen. Es stellte sich die Frage, inwieweit man durch solche Sabotageakte überhaupt etwas zu gewinnen hatte. Insofern war Patrick Leigh Fermors erster Funkspruch „SITUATION HERE UGLY“ durchaus angmessen.[xvii]

Zu Patrick Leigh Fermors Aufgaben[xviii] gehörte es zunächst, die deutschen Bewegungen zu beobachten und mithilfe des Funkers zu melden. Gedeckt von kretischen Partisanen lebte er frugal in Höhlen des Berglandes (selten wagten sich die britischen Sondereinsatzkräfte in die Dörfer)[xix] und unterstützte diese seinerseits bei Sabotageakten mit Geld und Munition, die von den Engländern nach entsprechenden Funkkontakten mit U-Booten an Land gebracht oder mit Fallschirmen des Nachts abgeworfen wurden. Darüberhinaus sorgte er für die Verbreitung von pro-alliierten Nachrichtenblättern in griechischer Sprache und defätistischen Flugblättern und Graffiti in deutscher Sprache, deren Zielgruppe die deutschen Soldaten waren[xx].

Dieses Leben unter den kretischen Bauern und Hirten in der Einsamkeit der Bergwelt, ohne Kontakt zu seinen englischen Kameraden, ertrug Patrick Leigh Fermor besser als manch andere britische Agenten: Er verstand die Sprache seiner Gastgeber und Helfer sehr gut; seine Beziehung zu ihnen war von gegenseitiger Freundschaft und Respekt geprägt, unabhängig von ihrer jeweiligen sozialen Stellung; er brachte ihnen echtes Interesse entgegen, schätzte ihre Gesänge und Dichtung und versuchte sich in seiner freien Zeit sogar selbst als Sänger und Rhapsode.[xxi]

Funker und Meldegänger (auf Englisch „runner“) sorgten für die Kommunikation mit dem Hauptquartier in Ägypten, anderen britischen Agenten und den Partisanen. Sie waren ebenso gefährdet wie die britischen Soldaten, schon im November 1942 wurde Patrick Leigh Fermors Funker Apostolos Evangelou gefangennommen und erschossen; seinen Meldegänger Yannis Tsangarakis, mit dem er das harte, oft eintönige und gefährliche Leben in den Bergen teilte, erschoss Patrick Leigh Fermor im Mai 1943 aus Versehen selbst durch unvorsichtiges Hantieren mit seinem Gewehr.[xxii]

Je weiter der Krieg fortschritt, desto stärker drängten die griechischen Partisanenführer (Kapetani der Andarten) auf eine Landung der Alliierten (vergleichbar mit Sizilien) als ein Signal und als Unterstützung für einen allgemeinen Aufstand gegen die Deutschen – und waren enttäuscht als sie vertröstet wurden.[xxiii] Sie drohten, wie auch andere Partisanengruppen auf dem griechischen Festland, sich der kommunistischen Widerstandsbewegung anzuschließen, die großen Zuspruch bei Teilen der Bevölkerung hatte, da sie in Robin-Hood-Manier Überfälle auf deutsche Nachschubdepots organisierte und die erbeuteten Lebensmittel an die hungernde Bevölkerung verteilte. Das konnte den Engländern aber nicht recht sein.

Schließlich entschloss sich Patrick Leigh Fermor, zu einem Coup, der legendär und 1957 sogar verfilmt[xxiv] wurde. Der deutsche Generalleutnant Friedrich-Wilhelm Müller in Iraklion sollte entführt werden. Er hatte den Hass der Kreter auf sich gezogen, da er für Geiselnahmen und Erschießungen von Zivilisten sowie Zerstörungen als Vergeltung für erfolgreiche Operationen der Partisanen verantwortlich war. Im Herbst 1943 hatte er über 400 Einwohner von Vianno bei Ierapetra in Zentralkreta erschießen lassen. Kein Attentat sollte diese Aktion sein, sondern eine reguläre Gefangennahme durch reguläre britische und griechische Soldaten, eine Demütigung der deutschen Besatzer in ihrer eigenen Besatzungszone, und in ihrer Verwegenheit eine Aktion, die den Zusammenhalt des Andartiko, der kretischen Widerstandskämpfer, stärken sollte.

Patrick Leigh Fermors Vorgesetzte hatten zugestimmt, wenn auch zum Teil nur zögerlich. Eine kritische Stimme schrieb: „Ich dachte, wenn der Plan Erfolg hat, dann wäre sein einziger Beitrag zum Krieg, dass er die Stimmung in Kreta umschwenken könnte – aber der Preis würden zahllose Leben von Kretern sein. Im trostlosen Winter 1941 wäre dies vielleicht noch sinnvoll gewesen, aber doch nicht jetzt, 1944, wo jeder wusste, dass der Sieg nur noch eine Frage von Monaten war...“.[xxv]

Nichtsdestoweniger schritt man trotz dieser Bedenken zur Tat[xxvi], auch als das eigentliche Ziel, Generalleutnant Müller, kurzfristig aus Kreta abkommandiert wurde. Nun wurde sein Nachfolger General Heinrich Kreipe das Ziel. Zur Unterstützung des 29-jährigen Patrick Leigh Fermor wurden weitere Soldaten aus Brindisi nachts auf die Insel geschmuggelt: Der 22-jährige britische Hauptmann William Stanley Moss und zwei griechische Soldaten des königlich-griechischen Exilheeres, die Kreter Manolis Paterakis und Giorgos Tyrakis, die Patrick Leigh Fermor bereits 1941 in einem Trainingslager in Haifa kennengelernt hatte.

Das deutsche Hauptquartier war in Ano Archanes, südlich von Iraklion; der deutsche General residierte in Knossos, in der sogenannten Villa Ariadne. Der englische Ausgräber von Knossos, Arthur Evans, hatte dieses Haus als privates Wohnhaus und als Grabungshaus für sein Team errichten lassen. Hier hatten die britischen Ausgräber bis zur Landung der Deutschen gelebt und gearbeitet. Die Deutschen hatten das Haus mit seiner schönen mediterranen Gartenanlage als Residenz des Generals requiriert.

Morgens ließ sich der General nach Ano Archanes fahren, am späten Abend ging es wieder zurück. Am 26. April 1944 wurde sein Wagen in einer Kurve von zwei deutschen Kontrollposten, wie sie überall auf der Insel eingesetzt waren, angehalten. Sobald der Wagen hielt, wurde aber deutlich, dass dies keine echten Kontrollposten waren: Patrick Leigh Fermor und William Stanley Moss hatten – in deutschen Uniformen – das Auto angehalten, dieses wurde nun von weiteren Personen eingekreist: den zwei griechischen Soldaten, sowie einer kleinen Gruppe in die Aktion eingeweihter kretischer Partisanen[xxvii].

Der General musste sich hinter dem Rücksitz verstecken, einer der griechischen Soldaten kroch neben ihn und hielt ihm ein Messer an den Hals, William Moss setzte sich ans Steuer[xxviii], Patrick Leigh Fermor zog die Kappe des Generals auf, und nun begann einer der heikelsten Teile der Mission: Das Team musste weiterfahren und durch das von Deutschen besetzte Iraklion durch, um eine falsche Fährte zu legen und General Kreipe von der Insel zu bringen. Sie kamen dabei durch weitere 22 echte Kontrollpunkte, die sie im Generalswagen mit ihren deutschen Uniformen anstandslos passierten. Sie stellten den Wagen bei Cheliana an einem Weg zum Nordufer der Insel ab, um zu insinuieren, der General sei hier auf ein U-Boot gebracht worden. Ab da ging es zu Fuß weiter zur Südküste Kretas (General Kreipe, der sich leicht verletzt hatte, konnte streckenweise ein Maultier nutzen), von wo ein Boot General Kreipe und seine Entführer ins englische Hauptquartier für den Mittleren Osten, nach Kairo bringen sollte.

Patrick Leigh Fermor hatte beim im Wagen des Generals einen auf Deutsch geschriebenen Brief mit britischen Siegeln hinterlassen, in dem er die alleinige britische Verantwortung darlegte, allein britische und reguläre griechische Soldaten hätten die Entführung durchgeführt. Am Schluss des Briefes hieß es auf Deutsch: „Ihr General ist ein ehrenwerter Kriegsgefangener und wird die seiner Stellung entsprechende Behandlung erfahren. Strafaktionen gegen die Bevölkerung Kretas wären ungerechtfertigt und ungerecht. Auf baldiges Wiedersehen! P.M. Leigh Fermor (Major), C.W. Stanley Moss (Hauptmann).“ Diese Ablenkungsmaßnahmen hatten jedoch keinen Erfolg. Suchaktionen der deutschen Besatzungstruppen im Süden der Insel zwangen die Entführer unter winterlichen Bedingungen zu ungewollten Umwegen und Pausen.

Sie mussten den noch schneebedeckten Berg Ida (Psiloritis) zum Kedros-Massiv hin queren, in kalten Höhlen übernachten. Hier hatte Patrick Leigh Fermor ein Erlebnis, an das er sich in späteren Berichten dieser Aktion am häufigsten erinnerte, als one of the defining moments of the war.[xxix]

Ich übersetze aus dem BerichtPatrick Leigh Fermors: Wir wachten zwischen den Felsen auf, gerade als ein herrliches Morgenrot über dem Kamm des Ida erschien. Wir hatten uns zwei Tage lang, durch Schnee und dann Regen, über dieses Massiv gequält. Über das Tal auf diesen nun leuchtenden Bergkamm blickend, murmelte der General zu sich selbst:

 

Vides ut alta stet nive candidum

Soracte...   [xxx]

 

Das war eine der Horazischen Oden, die ich kannte! Ich fuhr fort, wo er abgebrochen hatte:

 

nec iam sustineant onus

silvae laborantes geluque

flumina constiterint acuto.

 

und so weiter, die fünf verbleibenden Strophen bis zum Schluss.

Die blauen Augen des Generals hatten sich vom Berggipfel weg meinen zugewandt – und als ich geendet hatte, sagte er, nach langem Schweigen: „Ach so, Herr Major!“

Es war sehr merkwürdig („curious“). Als ob, für einen langen Augenblick, der Krieg aufgehört hätte. Wir hatten beide vor langer Zeit an derselben Quelle getrunken; und es stand anders zwischen uns für den Rest unserer gemeinsamen Zeit.

 

Die Suchaktionen der deutschen Besatzungstruppen und Probleme beim Funkkontakt mit Kairo verzögerten die Kontaktaufnahme mit dem Boot, das die Gruppe abholen sollte, doch in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 1944, nach 18 Tagen, in denen sie sich immer wieder auf der Flucht vor deutschen Suchtrupps in Höhlen zurückziehen mussten, wurden sie schließlich von einem britischen Motorboot an der Küste bei Rodakino aufgegriffen. Kreipe wurde zunächst ins Gefangenenlager Trent Park nach England gebracht, (man kennt es aus Sönke Neitzels Forschungen zu den britischen Abhörprotokollen der deutschen Generalität[xxxi]), dann kam er in ein Gefangenenlager nach Kanada, 1947 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen.

Der Versuch Patrick Leigh Fermors, mit dem Brief an die Deutschen die Beteiligung der Partisanen an der Entführung zu vertuschen, schlug fehl, die Wehrmacht machte dennoch die kretische Bevölkerung mitverantwortlich. Nach der Rückkehr von General Friedrich-Wilhelm Müller wurden mehrere Dörfer, darunter Anogia, von den deutschen Besatzern in „Vergeltungsmaßnahmen“ geplündert und zerstört (950 Häuser) und über hundert Einwohner (mindestens 117) ermordet.[xxxii]

Die Entführung – von Kreipe selbst während der Entführung als „Husarenstück“ bezeichnet[xxxiii] – wurde später zur Legende, Patrick Leigh Fermor hat sie aber – obwohl er viel schrieb – nicht literarisiert, sein Bericht („Abducting a General“) ist posthum erschienen. Vielleicht hatte er sich mit William Stanley Moss, der die ganze Aktion in seinem Tagebuch und mit einem Photoapparat festgehalten hatte, geeinigt, dass dieser die Geschichte berichten sollte; er hatte ihn sogar ursprünglich auf der Suche nach einem Verleger unterstützt. Mossʼ romanhafte Erzählung wurde dann 1957 verfilmt.

Vielleicht hatte seine Zurückhaltung auch andere Gründe: Mossʼ Buch gefiel Patrick Leigh Fermor nicht, er empfand es als taktlos und arrogant gegenüber den Kretern und ohne Verständnis für die Demütigung des Generals geschrieben.[xxxiv] Nach seinem Tod im Jahr 1965 begann er für eine Publikation des Imperial War Museum an einem Bericht zu schreiben: 5000 Wörter sollten es werden, Abgabetermin war November 1966. Doch der Bericht umfasste schließlich 30.000 Wörter und Patrick Leigh Fermor gab ihn im November 1967 ab. Er wurde um 25.000 Wörter gekürzt und publiziert, doch Patrick Leigh Fermor war unzufrieden, ein reines Skelett sei der Bericht, denn er wollte „keine Abenteuergeschichte“ verfassen, sondern „vielmehr eine Beichte, eine Anerkennung, eine Bitte um Verständnis... vor allem aber einen Paean, ein Loblied, auf Kreta und die Kreter... Man muss die Verbindung – direkt oder indirekt – zwischen der Entführung des Generals und der barbarischen Ermordung von Hunderten kretischen Dorfbewohnern, Monate später, durch die deutschen Besatzer sehen“[xxxv]. Sein vollständiger Bericht wurde erst posthum 2014 veröffentlicht.

 

3. Nach dem Krieg

Nach dem Krieg, Patrick Leigh Fermor war jetzt 30, suchte er nach einer Stellung, möglichst einer, die ihm die Gelegenheit, oder zumindest die Zeit zum Reisen und Schreiben ließ. Doch er war zwar gebildet und stilsicher, hatte aber keinen formalen Abschluss und nie in echten Hierarchien gearbeitet. Ein Posten am British Institute (dem Vorläufer des British Coucil) in Athen schien ideal. Doch es funktionierte nicht, er war nicht in eine Organisation zu integrieren. Nach einem Jahr wurde er im Dezember 1946 entlassen; manche sagen, keinen Augenblick zu früh – er musste so nicht mit ansehen, wie sich sein geliebtes Griechenland im Bürgerkrieg zerfleischte[xxxvi].

In den nächsten 15 Jahren lebte er zwischen Italien, England, Frankreich und Griechenland (mit einem Abstecher in die Karibik) hin- und herreisend von Honoraren und Vorschüssen für Artikel und Bücher, in Hotels, Häusern und Wohnungen, die ihm Freunde zur Verfügung stellten, häufig in Begleitung seiner Gefährtin und späteren Frau Joan Rayner (geb. Eyres Monsell). Sie war Photografin, er hatte sie kurz vor Kriegsende in Kairo kennengelernt, eine rastlos Reisende und sehr auf ihre Unabhängigkeit bedachte Frau. Es war eine – wie Beobachter sagten – „extremly open relationship“[xxxvii].

Als sie 1968 heirateten (beide waren mittlerweile über 50) hatten sie das Haus hier in Kardamyli gerade fertig gebaut, ihr Refugium. Sie hatten den Bauplatz 1962 gefunden – bis die Eigentumsübertragung und Baugenehmigung die Hürden der Bürokratie durchlaufen hatten, vergingen drei Jahre; 1965 begann der Hausbau, den sie über die Wartejahre gemeinsam mit einem Architeckten Nikos Hadjimichalis, dem die traditionelle griechische Architektur ebenso wie ihnen ein Anliegen war, geplant hatten. Sie integrierten Spolien, die sie bei Abbruchhäusern in Kalamata erwarben, und Kunstwerke von Freunden, vor allem ihres lebenslangen Freundes Nikos Hadjikyriakos-Ghikas: Ihr Haus wurde zum eigenen Kunstwerk. Gleichzeitig wurde es zum literarischen und freundschaftlichen Zentrum der Welt, die Patrick und Joan Leigh Fermor liebten: Hier empfingen sie in den nächsten 40 Jahren ihre zahlreichen griechischen und internationalen Freunde, hier arbeitete Patrick Leigh Fermor an seinen Manuskripten.[xxxviii]

Finanziert wurde das Haus von Joan Leigh Fermor, die aus einer wohlhabenden Familie kam. Sie erhielt eine jährliche Zuwendung (die sie seit 1952 mit Patrick Leigh Fermor teilte) und erbte nach dem Tod ihrer Mutter 1959 genug, um finanziell mehr als unabhängig zu sein[xxxix].

Patrick Leigh Fermor hatte zwar keine Reichtümer, doch Renommee durch seine Reisebücher gewonnen, deren bekannteste „Mani: Reisen in der südlichen Peloponnes“ (englische Erstausgabe 1958) und „Roumeli: Reisen in Nordgriechenland“ (englische Erstausgabe 1966) sind. Sicher nicht zufällig gehören diese beiden Regionen zu den abgelegensten Gebieten Griechenlands, wohin noch lange kein üblicher Tourist seinen Weg finden sollte. Sie machten deutlich, wie gut Patrick Leigh Fermor das Land, seine Geschichte und die Menschen kannte und wie viel diese ihm bedeuteten.

 

4. Patrick Leigh Fermor – ein Philhellene

Der berühmteste aller Philhellenen ist wohl Lord Byron. Zu ihm gab es immer wieder Bezüge und obwohl sich Patrick Leigh Fermor weigerte, sich mit ihm zu vergleichen[xl], blieb er ein Bezugspunkt. Wie dieser reiste er als junger Mann nach Griechenland, vor allem aber kämpfte auch er, der sich als Literat verstand, auf derselben Seite wie die Griechen im Krieg gegen fremde Besatzer. Allerdings überlebte Patrick Leigh Fermor, anders als Byron, der in Mesolongi wohl an Malaria starb.

In seinen Erzählungen über die Reisen in Nordgriechenland („Roumeli“) gibt es die Episode „Byron’s Slippers“: Ein australischer Soldat hatte einer Urenkelin Byrons geschrieben, er sei im Zweiten Weltkrieg, als er durch Mesolongi kam (hier war Byron 1824 gestorben), bei einem Mann einquartiert gewesen, der Byrons Hausschuhe habe und sie der Familie zurückgeben wolle. Diese Urenkelin berichtete dies Patrick Leigh Fermor, der bei ihr zu Gast war, und als dieser auf seinen Reisen durch Mesolongi kam, erinnerte er sich an diese Geschichte – aber leider nicht an den Namen des Hausschuh-Besitzers. Er fragte herum, im Postamt, im Rathaus, in der Kirche, bei der Polizei und sogar bei der Bank und in den Kafenia – vergebens. Als er mit Joan verschwitzt und erschöpft ins Hotel zurückkam, wartete dort eine junge Frau, die von seiner Suche gehört hatte. Die Schuhe gehörten ihrem Onkel. Sie suchten ihn auf, er berichtete, wie er in ihren Besitz gekommen war (Provenienz ist bei historischen Objekten wichtig): Wunderschöne Hausschuhe, aus feinem marokkanischen Leder, bestickt mit gelben Seidenfäden – und der rechte Schuh schief ausgetreten. Patrick Leigh Fermor machte den Besitzer darauf aufmerksam, doch der wischte dies als unwichtig beiseite – für Patrick Leigh Fermor war es aber der Beweis ihrer Echtheit, hatte doch Byron einen deformierten rechten Fuß gehabt. Doch letztlich wollte Herr Baiyorgas die Schuhe behalten, sie seiner Nichte als Familienerbstück und Mitgift mitgeben. Patrick Leigh Fermor und Joan zeigten großes Verständnis. Eine schöne Geschichte, hier nur erzäht weil sie Byron ins Spiel bringt.[xli]

Doch auch später kam es wieder zur Bezugnahme auf Byron: Am 3. Mai 1810 war Byron, 22-jährig, durch den Hellespont (heute sagen wir „die Dardanellen“) geschwommen, die Meerenge, die Asien von Europa trennt. Es war ein mythologisches Zitat, der antike Liebhaber Leander durchschwamm den Hellespont jede Nacht, um seine geliebte Hero zu sehen, bis ein Sturm die als Wegweiser dienende Fackel am Ufer verlöschte und er ertrank. Patrick Leigh Fermor zitierte 69-jährig seinerseits dieses Byronsche Zitat: Am 13. Oktober 1984 sprang er bei Çanakkale ins Meer und kämpfte sich in drei Stunden durch die starke Strömung nach Europa. Byron hatte eine Stunde, zehn Minuten gebraucht. Selbstironisch kommentierte Patrick Leigh Fermor: „Ich wusste, dass ich nur einer in einer langen Reihe von Nachahmern war – aber ich war sicher, alle Rekorde für Langsamkeit gebrochen zu haben. Das war ein Kranz, den mir keiner nehmen würde. Das Glück war vollkommen.“[xlii]

Patrick Leigh Fermor war aber nicht nur ein Phil-Hellene – er war auch ein Phil-Romaios: Während der Begriff „Hellenen“, befeuert durch die westeuropäische Griechenlandbegeisterung des 19. Jahrhunderts, die Rückbesinnung auf die vorchristliche Zivilisation der Antike betont, nimmt die bis ins 20. Jahrhundert übliche Selbstbezeichnung der Griechen als Ῥωμαῖοι (Römer/Oströmer) Bezug auf das christliche Byzantinische Reich. „Romaioi“, so wurden die Griechen im osmanischen Reich genannt, „Oströmer“. (Heute noch heißt das griechisch-orthodoxe Patriarchat von Istanbul „Rum Ortodoks“, nicht „Yunan Ortodoks“).

Damit ist Folgendes gemeint: Nicht nur das Griechenland der klassischen Bildung kannte und schätze Patrick Leigh Fermor, auch mit seiner byzantinischen Tradition war er tief vertraut. Hatten die Eliten des jungen Griechenland des 19. Jahrhunderts zunächst vor allem die klassische Tradition betont, die klassizistischen Bauten in der neuen Hauptstadt Athen zeugen davon, so wurde die Berufung auf die orthodox-byzantinische Tradition mit ihrer Literatur, Kunst und Nähe zum Volk im 20. Jahrhundert immer selbstbewusster.

Patrick Leigh Fermor betrachtete beide Stränge als gleichwertig, gleich-„griechisch“, befürchtete aber durch die Modernisierung des Landes den Untergangdes „romäischen“ Teils und wollte ihn in seinen Büchern seinen europäischen Leser bewusst machen und ihn lebendig halten.

2011 starb Patrick Leigh Fermor. Beigesetzt wurde er auf dem Friedhof im Dumbleton in den Cotswolds, dem Heimatort von Joan, die 2003 gestorben war. Der Text auf dem Grabstein ist ein Zitat aus dem Werk des neugriechischen Lyrikers Konstantinos Kavafis: „υπήρξεν έτι το άριστον εκείνο, ελληνικόs“.

Konstantinos Kavafis (1863 bis 1933) ist einer der bedeutendsten griechischen Lyriker der Neuzeit, in Deutschland ist er nicht so bekannt, in England allerdings ist sein Name und Werk geläufiger. Der Stoff seiner historischen Gedichte ist vorwiegend den Übergangsepochen der griechischen Geschichte entnommen, den Zeiten, in denen sich Ost und West treffen, dem Hellenismus und der beginnenden byzantinischen Zeit. Wie Kavafis sah auch Patrick Leigh Fermor in diesem Verschmelzen von antiker und byzantinischer Tradition die griechische kulturelle Identität der Neuzeit.

Das Zitat ist bei Kafavis ein Grabspruch auf Antiochos, den König von Kommagene, der zuvor als weise und gerecht und voller Mut gepriesen wird. Jörg Schäfer hat den den Vers so übersetzt: „Er war noch mehr, jenes, das Höchste: Hellene“

Das Gedicht geht hier weiter;

 

„— ιδιότητα δεν έχ’ η ανθρωπότης τιμιοτέραν·

εις τους θεούς ευρίσκονται τα πέρα“ „...

bei Menschen, da kann Höheres nicht gelingen.

Nur Götter mögen größere Ehr erringen.“[xliii]

 

Dr. Nadja Schäfer



[i] Patrick Leigh Fermor, A Time of Gifts, Introductory Letter to Xan Fielding, London 1977.

[ii] Ebd..

[iii] Matthias Weichelt, Vom Wunder des Ankommens – bis zum letzten Atemzug. Patrick Leigh Fermor: Die unterbrochene Reise, in: FAZ 18.12.2013.

[iv] Patrick Leigh Fermor, A Time of Gifts, London 1977, Introductory Letter to Xan Fielding.

[v] Patrick Leigh Fermor, Between the Woods and the Water, London 1986, Introductory Letter to Xan Fielding, S. 5.

[vi] Patrick Leigh Fermor, The Broken Road, London 2013, S. 236-243;möglicherweise eine erzählerische Kombination mit dem Erlebnis eines Tanzes griechische Seeleute einige Monate später an der nordgriechischen Mittelmeerküste (vgl. Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S. 89f.).

[vii] Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S. 91.

[viii] Patrick Leigh Fermor, Between the Woods and the Water, London 1986, Introductory Letter to Xan Fielding, S. 5: „The next decade swept away this remote, countrydwelling world and this brings home tome how lucky I was to catche this long glimpses og it,even toshare in it for a while.“

[ix] Der Name hier in griechischer Form; zu seiner Rolle im Aufstand von 1821 s. Mark Mazower,The Greek Revolution. 1821 and theMaking of Modern Europe, London 2021, S. 77f., S. 83 und S. 106.

[x] Es handelte sich um den ersten Roman des in Alexandria geborenen Griechen Constantine P. Rodocanachi (Κωνσταντίνος Π. Ροδοκανάκη), No Innocent Abroad (Titel in den USA: Forever Ulysses).

[xi] Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S. 123.

[xii] Die SOE war einer Spezialeinsatztruppe, die auf Anordnung Churchills gegründet worden war, um Sabotageaktionen in den von Deutschen besetzten Gebieten zu unterstützen.

[xiii] https://patrickleighfermor.org/photographs/paddys-soe-file-complete/. S. dazu die Kommentare von Chris White, Patrick Leigh Fermor in Crete: Myths, Realities and Surprises, in: Patrick Leigh Fermor. The Journey Continues. Mouseio Benaki, 9th Supplement, Athens 2017, S. 107.

[xiv] Marlen von Xylander, Die deutsche Besatzungsherrschaft auf Kreta 1941 – 1945. Einzelschriften der Militärgeschichte 32, Freiburg 1989, S. 24.

[xv] Vgl. ebd., S. 38.

[xvi] Zu den britischen Aktivitäten auf Kreta und den Erwartungen des kretischen Widerstandes s. ebd., S. 82-102.

[xvii] Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S. 148.

[xviii] Zu den Aufgaben der britischen SOE vgl. Marlen von Xylander, Die deutsche Besatzungsherrschaft auf Kreta 1941 – 1945. Einzelschriften der Militärgeschichte 32, Freiburg 1989, S. 83-87.

[xix] Zur Unterstützung der britischen Agenten duch die Kreter und zu ihrem Alltag auf Kreta s. ebd., S. 88-92 und 93-96.

[xx] Texte wie „WIR WOLLEN NACH HAUSE“, „WO IST UNSERE LUFTWAFFE?“ oder „HEIL STALIN“. Vgl. Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S. 153, und Marlen von Xylander, Die deutsche Besatzungsherrschaft auf Kreta 1941 – 1945. Einzelschriften der Militärgeschichte 32, Freiburg 1989, S. 86f.

[xxi] Daher auch sein Spitzname „Philedem“ unter den Kretern, nach einem griechischen Volkslied. Vgl. Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S. 150f. und 171f. Die Tagebuchnotizen seines Kameraden William Stanley Moss beschreiben sein enges Verhältnis zu den Kretern: Chris White, Patrick Leigh Fermor in Crete: Myths, Realities and Surprises, in: Patrick Leigh Fermor. The Journey Continues. Mouseio Benaki, 9th Supplement, Athens 2017, S. 110f.

[xxii] Ebd., S. 152 und 158-159. Zum engen Verhältmis der britischen Soldaten mit den sie unterstützenden Partisanen vgl. auch Marlen von Xylander, Die deutsche Besatzungsherrschaft auf Kreta 1941 – 1945. Einzelschriften der Militärgeschichte 32, Freiburg 1989, S. 92 und 97.

[xxiii] S. Marlen von Xylander, Die deutsche Besatzungsherrschaft auf Kreta 1941 – 1945. Einzelschriften der Militärgeschichte 32, Freiburg 1989, S. 101-102 und 116.

[xxiv] „Ill met by Moonlight“ mit Dirk Bogarde. Grundlage war ein Buch, das sein Kamerad William Stanley Moss geschrieben hatte. Patrick Leigh Fermors Rolle bei der Entwicklung dieses Plans wurde von ihm möglicherweise übertrieben dargestellt: vgl. Chris White, Patrick Leigh Fermor in Crete: Myths, Realities and Surprises, in: Patrick Leigh Fermor. The Journey Continues. Mouseio Benaki, 9th Supplement, Athens 2017, S. 108-109 und 112, mit Bezug auf Akten der National Archives in Kew.

[xxv] Bickham Sweet-Escott, Baker Street Irregular, London 1965, S. 197ff., zitiert bei: Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S. 170.

[xxvi] Die Entführung desGenarals wird in dem posthum publizierten Bericht Patrick Leigh Fermor, Abducting a General. The Kreipe Operation and SOE in Crete, London 2014, beschrieben. Beschreibung auch bei Marlen von Xylander, Die deutsche Besatzungsherrschaft auf Kreta 1941 – 1945. Einzelschriften der Militärgeschichte 32, Freiburg 1989, S. 123f. (mit Bezug auf britische und deutsche Armeeakten). Zuletzt: Tasis Sakellaropoulos, O Paddy, o Μιχάλης, o Φιλεντέμ, in: Patrick Leigh Fermor. The Journey Continues. Mouseio Benaki, 9th Supplement, Athens 2017, S. 85-98. Yannis Skaledakis, O Patrick Leigh Fermor στην κατεχόμενη Κρήτη, ebd., S. 99-106. Chris White, Patrick Leigh Fermor in Crete: Myths, Realities and Surprises, ebd., S. 107-117.

[xxvii] Vgl. Patrick Leigh Fermor, Abducting a General. The Kreipe Operation and SOE in Crete, London 2014, S. 161.

[xxviii] Der Fahrer Alfred Fenske, ein 30-jähriger Unteroffizier, wurde von General Kreipe getrennt und von den Entführern getötet, als diese fürchteten, er könne anrückende deutsche Soldaten auf sich aufmerksam machen.

[xxix] Vgl. Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S. 184. S. dazu auch Chris White, der auf Grund unabhängiger Quellen das Verhältnis Patrick Leigh Fermors zu General Kreipe beschreibt: Chris White, Patrick Leigh Fermor in Crete: Myths, Realities and Surprises, in: Patrick Leigh Fermor. The Journey Continues. Mouseio Benaki, 9th Supplement, Athens 2017, S. 111.

[xxx] Siehe, wie weiß im hohen Schnee steht Soracte...

[xxxi] Sönke Neitzel, Abgehört. Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft 1942–1945, Berlin 2005.

[xxxii] Den Zusammenhang dieser Vergeltungsaktion mit der Entführung von General Kreipe diskutiert Chris White, Patrick Leigh Fermor in Crete: Myths, Realities and Surprises, in: Patrick Leigh Fermor. The Journey Continues. Mouseio Benaki, 9th Supplement, Athens 2017, S. 112-115, mit Bezug auf Akten der National Archives in Kew und weitere zeitgenössische Quellen.

[xxxiii] Patrick Leigh Fermor, Abducting a General. The Kreipe Operation and SOE in Crete, London 2014, S. 33.

[xxxiv] Vgl. Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S. 202.

[xxxv] „Not so much an adventure as a confession, a tribute, a plea for understanding... above all, a paean of praise to Crete and the Cretans ... It is essential, too, to recognise the link – direct or not – between the abduction of General Kreipe and the barbaric murder, months later, of hundreds of Cretan villagers at the hand of the German garrison.“ in: Patrick Leigh Fermor, Abducting a General. The Kreipe Operation and SOE in Crete, London 2014, Einleitug von Roderick Bailey, S. xviii-xix. S. auch Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, 339f. zu den Problemen, die das Schreiben dieses Berichts, der einem britischen und griechischen Publikum gerecht werden sollte, Patrick Leigh Fermor bereitete.

[xxxvi] Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S- 206, S. 213.

[xxxvii] Michael Dirda, Patrick Leigh Fermor celebrated author of one of greatest travel books ever written, First published in the Washington Post, 23 October 2013.

[xxxviii] Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S. 326, und id., Inside a restored Greek home that’s now open to visitors, Conde Nast Traveller 2022 (https://patrickleighfermor.org/2022/02/20/artemis-cooper-on-paddys-home-and-my-return/). S. zur Freundschaft zwischen Patrick Leigh Fermor und Nikos Hadjikyriakos-Ghikas (und zu seinem weiteren Freundeskreis): Ioanna Providi, Πάτρικ Λη Φέρμορ – Νίκος Χατζηκυριάκος-Γκίκας και ο ελληνικός και φιλελληνικός κύκλος τους, in: Patrick Leigh Fermor. The Journey Continues. Mouseio Benaki, 9th Supplement, Athens 2017, S. 129-139. Weitere Artikel zum Haus in Kardamyli s. ebd., 227-259. Auch die große Zahl der Einleitungen, Beiträgen und Rezensionen zu Büchern und Aufsatzsammlungen von Freunden und Nachrufe auf sie machen die enge Verbindung seines Freundeskreises deutlch: vgl. Patrick Leigh Fermor. The Journey Continues. Mouseio Benaki, 9th Supplement, Athens 2017, S. 16-19.

[xxxix] Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S. 241 u. 314, und John Stathatos, Sojourner’s Eye. The Life & Times of Joan Leigh Fermor. Rezension zu „Joan: The remarkable Life of Joan Leigh Fermor, by Simon Fenwick, London 2017“ und „The Photographs of Joan Leigh Fermor, by Ian Collins and Olivia Stewart, London 1978“, first published in The Philhellene no. 11, May 2018; revised June 2018 (online Journal of the Patrick Leigh Fermor Society).

[xl] Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S. 277.

[xli] Patrick Leigh Fermor, Roumeli. Travels in Northern Greece, London 1966, p. 158-169.

[xlii] Artemis Cooper, Patrick Leigh Fermor. An Adventure, London 2012, S. 372. Lord Byron war eine direkte Strecke geschwommen, Patrick Leigh Fermor war – von einer starken Strömung nach Süden abgetrieben – ein mehrfaches der Strecke geschwommen. Vgl. Mary Nik. Bostantzi, Πάτρικ Λη Φέρμορ, Ελληνικό Αρχιπέλαγος, in: Patrick Leigh Fermor. The Journey Continues. Mouseio Benaki, 9th Supplement, Athens 2017, S. 34.

[xliii] Übersetzung aus: Konstantinos Kavafis, Gedichte. Das Hauptwerk griechisch und deutsch. Übersetzt und kommentiert von Jörg Schäfer, Heidelberg 2007, S. 321.

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