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#Lesestoff

05.10.2022

Christos Zouraris, Gastmahl eines Gelehrten

Christos Zouraris, Gastmahl eines Gelehrten
Bildquelle: Edition Romiosini

Die Deipnosophistae, wie der Titel des Gastmahls der Gelehrten des griechischen Philosophen Athenaios lautete, der in Alexandria und Rom 200 Jahre nach Christus lebte, ist eine Sammlung von Tischgesprächen über Sitten und Gebräuche, Politik und Wissenschaft, Kunst und Kultur bei einem römischen Gastgeber, eine Art Symposion light.
Diese fast vergessene Vorlage dient Christos Zouraris als Herd, auf dem er seine kulinarischen Kommentare zubereitet, inspiriert von einem Gericht oder einem Kulturphänomen der heutigen griechischen Küche und garniert mit Rezeptvorschlägen und Benimmregeln an einer griechischen Tafel. Aus Gastmahl eines Gelehrten in der Übersetzung von Maria Zafón bieten wir Ihnen das Kapitel über das Ouzo-Ritual an.
Christos Zouraris, Gastmahl eines Gelehrten. Ein kulturphilosophisches Rezeptbuch. Aus dem Griechischen Übersetzt von Maria Zafón. Edition Romiosini 2022.

Η Edition Romiosini εξέδωσε σε μετάφραση της Maria Zafón επιλογή από τα κείμενα του Χρίστου Ζουράρι που είχε συμπεριλάβει στους τρεις τόμους του Δειπνοσοφιστή.

Christos Zouraris, Gastmahl eines Gelehrten.
Ein kulturphilosophisches Rezeptbuch (S. 15-19)

[…]

DISZIPLIN IN DER OUZO–RUNDE

»›Sind die Mezedes zum Ouzo oder zum Bier?‹, fragte der Kellner streng, wobei der Klang seiner Stimme plötzlich von einer schwülen, aus den Höhen des stadtnahen Waldes Seych Sou herabstoßenden Brise davongetragen wurde, die zu den Abhängen des Stadtviertels Saranda Ekklisies wehte, sich dann über dem Hippodrom mit den Gerüchen von gegrillten Makrelen und gebratenen Muscheln vermischte und über den stillen Wassern des Thermaischen Golfs verlor.«

So in etwa könnte der Anfang eines alten Kriminalromans lauten, der sich eines Rezeptes bedient, das sich gleichermaßen in der Literatur wie auch in der Kochkunst bewährt hat: der Verknüpfung des Themas (einerlei, ob dies die Handlung einer Geschichte oder das Zubereiten eines Gerichts ist) mit einem konkreten Ort, seinen Charakteristika, den Gewohnheiten der dort lebenden Menschen, seinen Farben, Gerüchen und Erinnerungen. Ein erprobtes Vorgehen, um Atmosphäre und garantiert Flair zu erzeugen.

In Thessaloniki kann es aber auch heute noch vorkommen, dass man gefragt wird, ob man Ouzo oder Bier trinken möchte, weil man je nach Getränkeauswahl unterschiedliche Häppchen, sogenannte Mezedes, serviert bekommt.

Denn in dieser Stadt gelten auch heute noch gewisse Regeln, die zwar zugegebenermaßen immer weniger streng gehandhabt werden, einen aber dennoch daran erinnern, dass man nicht einfach tun und lassen kann, was man will, wenn man gut zu speisen wünscht. Bei einer normalen Mahlzeit kann man unter gewissen Umständen ein wenig improvisieren. Wenn man aber Ouzo trinkt, verbietet sich das. Das strenge Einhalten des Brauchs ist hier ein Muss. Die scheinbare Lockerheit und Leichtigkeit einer Ouzo–Runde sollte niemals falsch verstanden werden. Denn in Wirklichkeit handelt es sich um ein kleines Ritual, bei dem sich die Teilnehmer einer strengen Disziplin unterwerfen.

Warum wohl?

Vor allem, weil die Ouzo–Zeit Spielzeit ist (bekanntlich muss man sich bei Spielen an festgelegte Regeln halten). Bei einer Hauptmahlzeit wollen wir satt werden, und das ist nicht immer ein Spiel. Im Gegensatz dazu spielen wir mit dem Ouzo, wir regen unseren Appetit an, wir ziehen die Ouzo–Zeit in die Länge und vermeiden es um jeden Preis, satt zu werden. Das Ouzo–Ritual hat so viel mit Sättigung zu tun wie der Liebesakt mit Zeugung.

Zudem liegt es in der Natur dieses Getränks, dass es nicht als Begleitung zu Hauptspeisen gereicht werden darf. Wenn der Ouzo seinen Namen verdient (und nicht jenes leicht süßliche Gebräu mit metallischem Beigeschmack ist, das uns nur allzu oft vorgesetzt wird), zeichnet er sich durch eine angenehme und gleichzeitig vehemente Aggressivität aus, die durch die aromatischen Komponenten gezügelt wird. Ein solches Getränk kann seinerseits auch nur mit konträren und ebenso heftigen Geschmacksnoten zusammengehen.

Dieses Getränk, bei dem intensive Geschmacksnoten kollidieren, kann nicht zu einer Hauptmahlzeit gereicht werden (die nach anderen, milderen und dauerhafteren, Harmonien verlangt). Selbstredend darf es auch kein angenehmes Gefühl der Sättigung hervorrufen.

Deshalb vertrete ich die Auffassung, dass die Ouzo–Stunde eine besondere Zeit darstellt, die mit gewöhnlichen Mahlzeiten nichts gemein hat und die ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt.

Disziplin in Körperhaltung und Rhythmus: Wir sitzen seitlich oder übers Eck, niemals mit dem Gesicht zum Tisch, um feierlich zu signalisieren, dass wir zu dieser Stunde nicht essen, um satt zu werden. Der Takt, in dem man die Mezedes von den Tellern nimmt (oder vielmehr von den Tellern »pickt«), ist deutlich verlangsamt, mit großen Pausen zwischen den Bewegungen, die sich ihrerseits durch Gelassenheit und Diskretion auszeichnen.

Der Gedanke, jedem Tischgenossen einen eigenen Teller vorzusetzen, verbietet sich von selbst: der Ouzo–Tisch ist ein Ort gemeinschaftlichen Teilens, ein Ort uneingeschränkter Kameradschaft.

Disziplin bezüglich der Menge: Am Ouzo–Tisch gibt es keine überladenen Servierplatten. Es werden kleine Mezedes–Tellerchen serviert, die im weiteren Verlauf durch neue, idealerweise andere Mezedes ersetzt werden. Es handelt sich um mundgerechte einzelne Häppchen, was in der Regel Saucen ausschließt und das Essen mit den Fingern erlaubt. Es versteht sich von selbst, dass ihre Qualität besser sein muss, je weniger Mezedes serviert werden. Denn das sparsame Auftragen der Mezedes als Ausdruck einer freiwilligen Selbstbeschränkung lenkt die Aufmerksamkeit unweigerlich auf eventuelle Mängel und Unzulänglichkeiten von Zutaten und Kochtechniken.

Disziplin bei den Geschmacksrichtungen: Der hohe Alkoholgehalt des Ouzo und die aggressive Geschmacksnote, über die wir bereits gesprochen haben, verlangen nach konträren und (ebenso) intensiven Geschmacksrichtungen. Die Ausgewogenheit zwischen dem Ouzo und den Häppchen kann durch Gegensätzlichkeit glücken. Essig und Salz, eingelegtes Gemüse und Gepökeltes spielen die Hauptrolle.

Ein ähnlicher Kontrast wird mit Meeresfrüchten und Oktopus erzielt, mit salzigen und pikantem Käse, etwa dem griechischen Blauschimmelkäse Kopanisti oder mit der Fischrogen–Creme Taramosalata. Auch mit der Auberginencreme Melitzanosalata (insofern der rauchige Geschmack der gerösteten Aubergine erhalten bleibt und sie weder im Mixer zerkleinert noch mit Mayonnaise angereichert wurde) sowie mit anderen Produkten milderen Charakters, solange sie mit Essig, Tsatsiki, der Knoblauchcreme Skordalia, oder Paprika verstärkt werden.

Ein anderer Gegensatz kann schließlich auch durch den Tastsinn erzeugt werden. Die knusprige Kruste, die gutgebratene kleine Fische oder Gemüse umhüllt (wenn sie nicht ihre Farbe verloren oder zu viel Öl aufgesaugt haben), bietet sich ebenfalls als Kontrast an.

Disziplin in der Konversation: Zur Ouzo–Stunde herrscht in der Runde eine freudige, schalkhafte Stimmung. Es wird nicht krakeelt, und es werden keine endlosen Monologe gehalten. Die Beiträge der Tischgenossen zeichnen sich durch Kürze und Prägnanz aus. Zu dieser Stunde werden Themen weder aufgeworfen noch ausdiskutiert, sondern Begebenheiten erwähnt und Erfahrungen knapp berichtet. Zur Ouzo–Stunde vermeiden die Tischgenossen wohlweißlich die lautstarken Themen, da sie wissen, dass sie Wichtigeres zu tun haben.

Man fragt sich, was dies alles mit dem abscheulichen Anblick zu tun hat, den eine Gesellschaft bietet, die in einer der neu entstandenen Ouzo–Tavernen – seien sie mondän oder nicht – lautstark plappernd »ihr Gläschen Ouzo« an einem Tisch trinkt, der von Kotelettknochen, nach Plastik schmeckenden Auberginencremes, faden sogenannten russischen Salaten, griechischen Hackfleischwürstchen, genannt Soutzoukakia – mögen sie wenigstens nach smyrnäischer Art sein! – und was man sich sonst noch alles vorstellen mag, überladen ist. Ouzo–, Bier– und Colaflaschen dürfen natürlich auch nicht fehlen.

Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich hier um das Konsumsyndrom, das sich auch in anderen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens zeigt.

Darüber werden wir ein andermal sprechen.

Bis dahin probieren Sie mal Folgendes aus: Laden Sie drei Freunde ein. Stellen Sie einen hübsch angerichteten Teller mit vier eingeschnittenen Oliven (tsakistes elies), vier kleinen eingelegten Paprikaschoten (piperies toursi), zwei gepökelten, halbierten Sardinen, zwei ebenfalls durchgeschnittenen Scheiben Schwarzbrot und eine Flasche guten Ouzo auf einen kleinen Tisch.

Wenn es Ihnen gelingen sollte, dass Ihre Freunde eine Stunde verweilen, um mit Ihnen zu trinken, Mezedes zu essen und sich zu unterhalten, ohne Sie zu vermöbeln, haben Sie einen großen Beitrag zum Erhalt der Ouzo–Kultur geleistet.

Aus dem Griechischen übersetzt von Maria Zafón