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14.10.2025

Jannis Palavos

Jannis Palavos
Bildquelle: © Nikos Tsitsiokas

Interview mit Jannis Palavos

Anlässlich der Veröffentlichung der Erzählsammlung Scherz von Jannis Palavos in der Edition Romiosini (2024) führten Marco Hillemann und Zyranna Stoikou ein Interview mit dem Autor, in dem sie ihn über die Entstehung seines Buches, über seinen literarischen Kosmos und über seine Beziehung zu anderen Autoren und Texten befragten.

Με αφορμή την έκδοση της συλλογής διηγημάτων Αστείο του Γιάννη Παλαβού από την Edition Romiosini (2024), ο Marco Hillemann και η Ζυράννα Στόικου πραγματοποίησαν μια συνέντευξη με τον συγγραφέα. Ο Γιάννης Παλαβός μίλησε για την δημιουργία του βιβλίου του, τον λογοτεχνικό του κόσμο και τη σχέση του με άλλους συγγραφείς και κείμενα.

Scherz ist Ihre zweite Erzählsammlung. Wie und wann haben Sie mit dem Schreiben des Buches begonnen?

Die Entstehung des Buches begann im Jahr 2007. Ich hatte gerade eine erste, unausgereifte Sammlung mit Erzählungen veröffentlicht, die mir schon nicht mehr gefiel - ich hatte bereits begonnen, andere Dinge zu lesen und war als Leser ein wenig gereift. Ich las mit Begeisterung Autoren, die dem Genre des magischen Realismus angehören, vor allem Julio Cortázar, aber auch viele Autoren, die das Paradoxe und das Irrationale als Mechanismus benutzen, wie Etgar Keret, Dino Buzzati und viele griechische Schriftsteller, deren Schreiben von subversiven, paradoxen Elementen geprägt ist, etwa Epameinondas H. Gonatas und Arjyris Chionis. Zeitgleich las ich Autoren, die zum Genre des so genannten „Schmutzigen Realismus“ [Dirty Realism] gehören, vor allem amerikanische Schriftsteller wie Raymond Carver oder Tobias Wolff, natürlich auch Hemingway. Diese beiden Traditionen kamen durch meine damalige Lektüre zusammen und definierten die Form des Buches. Und in dieser Form kamen die Erfahrungen und Sorgen eines Mannes von etwa dreißig Jahren zum Ausdruck. Während ich älter wurde und mir Gedanken darüber machte, wer ich war – ein Junge vom Land und ein Erwachsener aus der Stadt –, versuchte ich von Erzählung zu Erzählung meine literarische Stimme zu finden. All dies fand seinen Niederschlag in diesem Buch, das im Laufe von etwa vier Jahren entstand.

 

Viele Ihrer Erzählungen spielen in der nordgriechischen Provinz, in Ihrem Herkunftsort, und haben die Kindheit zum Thema, entweder weil die Erzähler selbst Kinder sind oder weil sie sich an ihre Kindheit erinnern. Welche Bedeutung haben die Orte und Erinnerungen aus Ihrem Leben für Ihre „literarische Welt“?

Lokalität, Ortsgebundenheit ist ein wichtiger Parameter in allem, was ich schreibe. Der Ort, an dem ich aufgewachsen bin, ein kleines Dorf im Nordwesten Griechenlands, die einzige Region des Landes, die nicht an das Meer grenzt, hat mich geprägt. Die Natur, die Wirtschaft, die Menschen und die Geschichte dieses Ortes haben mich zu dem gemacht, was ich bin. Wenn ich also über mich sprechen will (und wenn wir über uns schreiben, sprechen wir immer über uns selbst), komme ich an meinem Ort nicht vorbei. Die Kindheit und die Erinnerungen sind – und es ist mittlerweile ein Gemeinplatz, das zu wiederholen – unser wahres Zuhause. Es gibt Menschen mit Demenz, die sich an nichts außer an Momente ihrer Kindheit erinnern. Als Erwachsene wissen wir oftmals nicht mehr, was wir vor zwei Tagen gemacht haben, aber wir erinnern uns deutlich an Dinge, die wir als Kinder erlebt haben. Aus diesen Erinnerungen an die prägenden Jahre unseres Lebens schöpfen wir, um zu schreiben, denn aus ihnen sind wir gemacht. Sie sind das Grundmaterial für die Fiktion eines jeden Schriftstellers und eines jeden Schöpfers, nicht nur für mich. Diese Erinnerungen und die Gefühle, die sie mit sich bringen, sind das Grundmaterial unseres Selbst, das sich in unseren Geschichten verwandelt und verkleidet in sie eingeht, selbst wenn sie auf dem Mond spielen.

 

Bislang haben Sie vor allem Erzählungen veröffentlicht. Warum fühlen Sie sich besonders zu dieser literarischen Gattung hingezogen?

Die Erzählung ist ein besonderer Raum, in dem sich Prosa und Poesie begegnen. In der Erzählung kann, ja muss man mit Sparsamkeit, Verdichtung und Sorgfalt für die elementare Einheit der Sprache (nicht nur das Wort, sondern auch das Phonem) vorgehen, mit Sorgfalt für den Rhythmus und die Melodie des Satzes. Man kann sowohl die Anspielung als auch die Überraschung nutzen, die für die Poesie charakteristisch sind, und all das mit dem großen Vorteil, eine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende, der ein Leser mit Freude folgt. Mir gefällt, dass sich die Erzählung formal zwischen der Prosa und der Lyrik bewegt. Ich habe versucht, Gedichte zu schreiben, und bin dabei völlig gescheitert, viele Gedichte, die für immer in meiner Schublade bleiben werden. Der Roman hingegen erfordert Geduld und Ausdauer, die ich als Person nicht habe. Außerdem hat diese Gattung etwas Intellektuelles, Verkopftes, und ich habe oft das Gefühl, dass sie, selbst wenn sie von stilbewussten Autoren geschrieben wird oder bewusst so geschrieben ist, dass sie die traditionelle Form des Genres untergräbt, den Eindruck erweckt, dass sie versucht, eine Idee darzulegen oder einen Standpunkt zu beweisen. Das interessiert mich nicht. Deshalb ist die Erzählung für mich die richtige Form. Sie ist ein „Dazwischen“, und die interessantesten Dinge befinden sich ohnehin in den Übergangsräumen, in der Schwebe, nicht in der Position der Ausgewogenheit.

 

Den Titel Scherz haben Sie nicht nur einer Ihrer Erzählungen, sondern der gesamten Sammlung gegeben. Warum? Als Andeutung für den Humor und das Groteske, die wir in vielen Ihrer Texte finden?

Ich habe diesen Titel gewählt, weil er kontrapunktisch zur Stimmung der Sammlung steht, die im Allgemeinen eher melancholisch und bitter ist, natürlich durchsetzt mit einer Prise Humor. Der „Scherz“ sowohl der Kurzgeschichte als auch der Sammlung insgesamt ist ein Scherz, der von einem bitteren Lächeln begleitet wird, einem Lächeln der Akzeptanz für eine ungenügende Situation, die sich nicht überwinden lässt. Es ist das Lächeln auf dem Gesicht des Verlierers. Ich habe das Gefühl, dass dieses Lächeln, diese Stimmung die ganze Sammlung charakterisiert, und deshalb habe ich das Buch so genannt. Was den Humor und das Groteske angeht, sind das für mich sehr grundlegende Elemente. Sehr oft werde ich von einem Gefühl der Sinnlosigkeit eingeholt, und es scheint mir, dass die einzige Möglichkeit, diese Sinnlosigkeit zu bewältigen oder vielmehr damit umzugehen, der Humor ist. Das Groteske ist eine extremere Version dieses Gefühls, das auch etwas Beängstigendes, Dunkles an sich hat. Es ist ein Abwehrmechanismus gegen das Gefühl, dass die Dinge keinen Sinn ergeben oder dass unser Kampf zum Scheitern verurteilt ist. Es ist ein Weg, die Angst zu vertreiben und die Anforderungen des Alltags zu meistern. Weil ich als Mensch so ticke, schreibe ich auch so.

 

Viele Ihrer Figuren scheinen darauf zu warten, von der „unerträglichen Leichtigkeit des Seins“ erlöst zu werden – eine Hoffnung, die (wenn wir etwa an Thanos, den Tacker, denken) sich nicht einmal im Jenseits erfüllt. Wie viel Metaphysik enthalten Ihre Erzählungen?

Es gibt eine Menge Metaphysik, sowohl in diesem Buch als auch im nächsten, der Erzählsammlung Das Kind [To paidí]. Hier, in Scherz, wird die Metaphysik auf dem Wege der Paradoxie und des magischen Realismus zum Ausdruck gebracht, im nächsten Buch durch die Religion. Die dahinterstehende Logik ist dieselbe: Das Leben ist nicht genug, weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht, und wir brauchen eine Transzendenz, etwas Größeres, das uns dabei hilft, etwas einen Sinn zu verleihen, das keinen Sinn zu haben scheint – und letztlich wohl auch keinen hat. Also behelfen wir uns mit der Metaphysik, der letzten Lösung, dem letzten Ausweg, aber vielleicht auch der einzigen logischen Handlung, denn in diesem Leben scheint es keine Logik zu geben, also müssen wir diese woanders suchen. Es ist nur so, dass in den Momenten, in denen das Gefühl der Vergeblichkeit zu sehr überhandnimmt, diese in meinen Schriften bis ins Jenseits reicht.

 

Sie haben schon mehrmals in Interviews erwähnt, dass Ihre Erzählungen oftmals Experimente im Stil anderer Autoren sind. Können Sie uns mehr darüber verraten?

Wie ein bekannter Vers des griechischen Nobelpreisträgers Jorgos Seferis besagt, sind „unsere Worte die Kinder vieler Menschen“. Kein Schriftsteller fällt vom Himmel, erst recht nicht, wenn er gerade seine ersten Schritte macht, so wie ich, als ich Scherz schrieb. So wie unsere Erfahrungen uns und damit unsere Themen prägen, so wird unser Umgang damit durch unsere Lektüren geprägt, die natürlich niemals zufällig sind, sondern zu denen wir durch einen persönlichen Antrieb in uns selbst geführt werden. Autoren wie Julio Cortázar, Etgar Keret, Thanassis Valtinos, Juan Rulfo, Katherine Mansfield, Raymond Carver und viele griechische Schriftsteller und Dichter, die nicht griechisch sprechenden Lesern unbekannt sind, haben mir gezeigt, wie man schreibt. Je nach der Zeit, in der ich gerade schrieb, und je nachdem, was ich zu jener Zeit gerade las, sind verschiedene Dinge in mein Buch eingeflossen – in dieses und in meine anderen Bücher. Die Autoren, die du sehr liebst, sind letztlich deine Verwandten, nicht in Bezug auf die Qualität deiner Texte, sondern in Bezug auf deine Sichtweise, deine Persönlichkeit, deine Weltanschauung. Man sieht die Welt so wie sie, und vielleicht will man sie deshalb sogar unbewusst nachahmen, um die gleiche privilegierte Sicht auf die Welt zu erlangen, die sie haben.

 

Übersetzung aus dem Griechischen: Marco Hillemann