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Hans und Niki Eideneier

Hans und Niki Eideneier

Transkript zum Interview mit Hans und Niki Eideneier


Transkript

Griechische Literatur in Deutschland

Hans Eideneier (HE): Die griechische Literatur ist, wenn ich das an den deutschen Universitäten beurteilen kann, wo ist sie hingeschwunden, wenn sie überhaupt mal vorhanden war?

Niki Eideneier (NE): Die griechische Literatur wurde nie zu einem Thema gemacht. Also alle sprechen von den schlechten oder guten Übersetzungen, aber wer hat die gelesen, wer hat die bearbeitet in den germanistischen Seminaren? Wer?

HE: Es gibt ein Beispiel: Als Seferis den Nobelpreis bekam, gab es im Deutschen eine einzige Übersetzung von einem Herrn Christian Enzensberger, das ist der Bruder vom Hans Magnus, und der wollte sich gerade in München habilitieren für Anglistik, und ich habe herausgekriegt, wo der wohnt, kann man heute alles im Internet, man hatte damals das Internet noch nicht erfunden, ich sah, dass der in der Parallelstraße, da gleich an paar Häuser weiter wohnt. Ich war noch nicht mal Lektor, sondern ich war Student oder Doktorand bei Beck in München. Und dann bin ich hin, zu dem, in die Wohnung und sag „Ich bin Neugräzist, sehr erfreut Sie kennenzulernen, Ihre Übersetzungen finde ich sehr gut und insgesamt, wie wäre das denn... oder wie haben Sie das vor, wollen Sie weiterhin Seferis übersetzen? Dann wollte dieser Schuft doch tatsächlich nicht zugeben, dass er aus dem Englischen übersetzt hat, der kein Wort Griechisch konnte. Er war Anglist und hat das so abgeschöpft, der hatte ja von Literatur schon eine Ahnung, er war Literaturprofessor, aber natürlich von der englischsprachigen, und dann hat er das mehr oder weniger in eigener Regie sehr gut bei „Suhrkamp“ oder „Insel“-Verlag erschienen. Es war eine wunderschön gebundene Ausgabe und die war die einzige damals. Der hat mich mehr oder weniger rausgeschmissen, als ich natürlich davon sprach, dass es vielleicht doch besser wäre, wenn wir in Zukunft den Seferis direkt aus dem Griechischen übersetzten könnten. „Und wer sind Sie denn?“ Und ich war ja nichts, aber das ist bezeichnend, dass man es sich für solche Literaturen, für solche kleinen Länder eben sich auch leisten konnte.

Die AutorInnen

HE: Wir hatten den großen Vorteil, dass wir eben mit den Autoren auch immer im Dialog waren. Also der Kotzias war, ich will nicht sagen jeden Monat, aber der war doch zwei-, dreimal im Jahr bei uns in Köln oder auch hier in Griechenland und er freute sich immer, wenn wir über seine Werke sprachen oder wir Aporien von ihm gelöst bekamen. Und da gab es einen richtig guten Dialog, sodass ich auch erkannte, mit welchen Kriterien er selber schrieb. Einmal hat er mir gestanden, wo er mir sagte: „Weißt du, dir kann ich das ja sagen, in Griechenland ist es nicht besonders beliebt, wenn ich es so sage, aber „grafo fonachta“, also „ich schreibe laut“. Und das war natürlich genau... Das waren die Jahre, wo ich über Logos, Melos und Rhythmos publiziert habe ununterbrochen. Er sagte „Na! Das ist es doch genau!“ Das habe ich schon geahnt, und wenn du nicht nach fünfzehn Silben - der menschliche Atem geht so viel, der Hexameter hat sechszehn bis achtzehn Silben, also mehr schafft das menschliche Atemvolumen nicht, und das ist von Homer bis heute immer das Gleiche geblieben - und wenn ich bei Kotzias nach fünfzehn, sechszehn Silben nicht ein „Kä“ finde, dann weiß ich, dann hat er ein Komma oder einen Punkt, nicht? Wenn er aber ein „Kä“ hat, dann ist das „Kä“ wieder an der Stelle eines Punktes, eines Satzzeichens, sodass er in dem Moment, wo er laut, mit menschlicher Stimme schreibt, hat er an dieser Stelle eine Pause gemacht. Das ist bis in die neuste griechische Literatur zu beobachten.

NE: - Wobei alle das ohne zu denken richtig gemacht haben, also in dieser Tradition richtig, die griechischen Autoren. Die meisten auch heute schreiben sie, als würden sie reden.

HE: Die Prosaliteratur ist im Griechischen immer rhythmisch strukturiert, immer... Und als ich bemerkte, dass achtzig Prozent der Sätze von Kunstprosa im 15. und 16. Jahrhundert mit „Kä“ beginnen, habe ich dieses „Kä“ den „gehörten Punkt genannt“ und ging dann zurück auf Luther, der in seiner Bibel-Übersetzung, da kommt dieses „Kä“ auch schon vor, im Neuen Testament, das ja im Griechischen nur in der Kirche eine Rolle spielt, aber für die Prosaliteratur des Mittelalters keine Rolle spielt, hat er immer mit „und“ übersetzt, mit dem deutschen „und“. Und dadurch hat er eine Bibelsprache begründet, die alle evangelischen Theologen jetzt nacheifern. Also das Wichtigste an dieser Prosa ist, dass alle Sätze mit „und“ beginnen müssen, und er hat einfach einen Fehler gemacht, weil er eben nicht, und wir kommen jetzt zurück, auf das was ich vorher gesagt habe, der westeuropäischen Kultur fehlt der richtige Zugang zu diesen griechischen literarischen oder auch nicht literarischen Produkten deshalb, weil wir bis zu Beginn der Neuzeit überhaupt nicht mit Lesern zu tun hatten, sondern mit Hörern, die Rezeption geschieht über das Ohr.

Das hängt wieder mit der Rezeptionsgeschichte zusammen. In dem Moment, wo der Kotsias im Grunde auch Leser hat, die diesen Rhythmus nachvollziehen, ob ihnen das immer bewusst ist, das ist noch die andere Frage, das muss nicht bewusst sein, aber sie erwarten von einer neugriechischen Prosa, dass sie rhythmisch strukturiert ist. Und im Deutschen ist das zum Beispiel hundert Jahre früher untergegangen, das heißt, wir sind hundert Jahre früher von dem Hörer zum Leser geworden. Aber hundert Jahre sind nicht viel und wir sind bei Goethe, den ich immer meinen Studierenden dargestellt habe, warum ist er denn immer auf und ab gelaufen beim Dichten? Er hat dann doch den Jamben oder den Trochäus schon im Schritt gehabt. Und dann hat er diktiert. Und diese mittelalterlichen Dichter oder auch Prosaautoren haben im Stehen geschrieben, die haben Stehpulte gehabt, die haben keine Schreibtische gehabt. Warum? Weil sie auf und ab gingen und haben sich da einen Rhythmus zurecht gelegt.

Bei Kavafis, ich hab mich jetzt wieder hingesetzt, die letzte Woche, und übersetzte zwei Kavafis Gedichte neu, obwohl unsere Übersetzung, die bei uns ja erschienen ist, es gibt aber auch noch andere deutsche Übersetzungen, die sehr gut sind zum Teil, die mich aber rhythmisch so gestört haben, da dachte ich mit wenigen Mitteln kann man da etwas daraus machen. Und Kavafis ist nun sehr geeignet dafür, weil Kavafis ist nun ein Mensch, der genau in dieser Tradition der Einheit von Logos, Melos und Rhythmus arbeitet. Man weiß von ihm, dass er während seiner Arbeitszeit in Kairo, eeh, in Alexandria, er war ja bei der Wasserwirtschaft englischer Beamter, der einzige war, der seine Bürotür zu hatte, nicht aus correctness wie die Amerikaner jetzt, diese waren immer auf, und das war ein dauerndes Kommen und Gehen. Nein, „Mr. Kavafis is working“, und dann hat man durch das Schlüsselloch geguckt und dann ging er auf und ab und warf Vorschläge für eine Dichtung an die Wand und hat das Echo abgehört. Und wenn ihm das Echo von hier und dort, es waren sicher kahle Wände, man hörte das und alle wussten es, weil es war mit lauter Stimme und mit allem Pathos, mit allem Pathos, wie es damals in der Zeit war, warf er einzelne sinnvolle Sentenzen, um es so auszudrücken, an die Wand und hörte das Echo ab und erst wenn sie ihm vom Ohr her gefallen haben, hat er sie niedergeschrieben und sie ununterbrochen dann immer nochmal korrigiert usw. Und genau das ist eben die Tradition, die wir für einen griechischen Autor vom Ausmaß eines Kavafis besonders erwarten. Und wenn dann Seferis zum Beispiel hergeht und sich fragt „Ja, dieser Kalvos und Kavafis, was waren das eigentlich, konnten die eigentlich richtig Griechisch?“ Da habe ich dann doch ernsthaft eingegriffen und gesagt „Lieber Seferis, du gehst hier zu weit“. Also das hat mit dem nichts zu tun, weil Dichtung ohnehin Kunstsprache ist und Kunst hat was mit künstlerisch zu tun. Dass der besser Englisch gesprochen hat der Kavafis als Griechisch, spielt überhaupt keine Rolle.

To trito stefani, ich habe auch Seminare dazu gemacht, das musste einfach auf Deutsch da sein, das ist Weltliteratur. Was übrigens im Griechischen, wenn du also mit dem Tachtsis selber gesprochen hast... Ich sage dir, wir konnten die ja alle einladen, den Tachtsis haben wir in Köln gehabt.

NE: und den Mourselas und den...

HE: Ja, ja, wir haben die alle eingeladen, ich hatte auch Gelder zur Verfügung von der Uni her und auch vom griechischen Ministerium her. Wir hatten den Botschafter da in der Nähe usw.

NE: Das waren eben die guten Zeiten...

HE: Ich konnte denen ein Ticket liefern, die haben alle bei uns natürlich zu Hause übernachtet, und das waren natürlich interessante Typen. Und da haben die Studenten auch wirklich was davon gehabt, weil das waren dann Leute zum Anfassen.

NE: Was der Hans vergessen hat zu sagen, oder er hält es vielleicht für nicht so wichtig, aber ich hielt das und halte es heute noch für sehr wichtig,die erste Teamarbeit in der Übersetzung in Köln waren zehn griechische Einakter, also Theater. Und das war, weil die Dialoge eben so lebendig waren oder sind immer im Theater, hat es die Studenten noch mehr interessiert. Das war so eine gesprochene Übersetzung und als sie fertig wurde, hat eine Buchhandlung - diese Buchhandlung hat dann eine sehr große Rolle gespielt bei der Gründung von „Romiosini“ - das als eine Ausgabe der Buchhandlung gemacht. Und das blieb nicht dabei, sondern wir haben versucht mit großer Mühe aber mit großem Erfolg, dass diese Stücke gespielt wurden in deutschen Bühnen. Und drei oder vier davon wurden echt, das waren also ganz ganz tolle Erlebnisse, aber schwierige Zeiten.

HE: Das waren alles sehr interessante Zeiten, möchte ich sagen, aber eigentlich nur in der Rückschau. Es war schon sehr spannend alles, nicht? Aber es ist in der Tat uns gelungen, also das Tavli von Κechaidis war unglaublich. Wir hatten 35 Vorstellungen allein in Köln, und das Stück kannte ich sowas von auswendig und es hat mich jeden Abend - ich war ja immer da, ich war so richtig so der Impresario - so faszinierend das Stück. Ich kannte jeden halben Satz und wir hatten wirkliche Berufsschauspieler, das war also dann nichts mehr mit unseren Studenten. Aber das war in der Tat eine Zeit, in der wir versuchten, das neugriechische Theater - Einakter gab es in diesem Sinne in der deutschen Literatur wenige - einzuführen. Und das ist uns gelungen, und das war das erste Buch vor „Romiosini“, einer der Gründe, warum „Romiosini“ gegründet wurde, war, da müsse man irgendwie ein gewisses System reinbringen.

Wie wird man Literaturübersetzer?

NE: Ich habe eine Zeit lang, neun Jahre lang in Frankfurt griechische Sprache, dazu Literatur, die habe ich selber also eingesetzt mit einer Stunde mehr freiwillig, und hatte Studenten jeden Alters. Also Studenten, die nicht unbedingt Griechisch lernen mussten, sondern mochten. Und es war eine sehr schöne Zeit und ich habe gemerkt, dass sieauch literarisch sehr interessiert waren und da haben wir so ein Team gebildet, das unabhängig von jedem Stundenplan usw. war. Wir saßen dann stundenlang nach dem Unterricht im Raum und haben angefangen zu übersetzen. Ich dachte, wenn die dieses Glücksgefühl erleben, dass sie einen griechischen schweren Text, das waren nämlich immerhin Lyrik, lyrische Gedichte von Giannis Ritsos, damit haben wir angefangen. Es warauch die Zeit natürlich, wo der Ritsos sehr aktuell war, Ende der siebziger Jahre war das, und tatsächlich haben die wirklich das gespürt, und blieben freiwillig, zwei, drei Stunden nach dem Unterricht und wir haben übersetzt. Wie ging denn jetzt diese Übersetzung im Team? Wir haben alle angefangen so fünf-sechs Verse in einer Sitzung und die Zeit reichte vorne und hinten nicht, und dann habe ich die Texte verteilt, nachdem sie sich alle im Geist - nicht der Übersetzung, das kann ich nicht sagen - sondern im Geist der Dichtung von Ritsos hineingespürt haben. Dann ist die Arbeit so gegangen, dass jeder seine Übersetzung mitbrachte, dieselben Stücke zunächst und dann haben wir kollektiv übersetzt, Entschuldigung, korrigiert. Einen neuen Vorschlag oder etwas Besseres. Es gab natürlich auch Missverständnisse des Sinnes und das haben wir alle zusammen erarbeitet und es war also eine ganz tolle Geschichte, das war eine meiner schönsten Stunden des Unterrichts. Natürlich waren die Leute schon auch fortgeschritten im Sprachunterricht und daraus ist immerhin ein Buch geworden. Nämlich, als wir das fertig hatten, eine der Teilnehmerinnen hatte einen Verlag gekannt und wie gesagt, Ritsos war modern, und er hat es also angenommen und das war unsere erste Publikation. Von „Romiosini“ und so war damals überhaupt nicht die Rede. Wir sprechen von den siebziger Jahren. Ja, das war der Anfang. Das hat mich natürlich dann auch gepackt und ich wollte mich selber prüfen, ob ich die deutsche Sprache soinzwischen gelernt hatte, dass ich übersetzen konnte. Natürlich war das gar so nicht einfach, aber ich habe meine Ergebnisse auch auf den Prüfstein der Hörer gelegt und die waren sehr sehr bereit, meine Unebenheiten und manchmal die grammatischen Fehler und so weiter zu korrigieren und am Schluss ist es ein ganz hübsches Buch geworden. Das war der Anfang - aber nicht das Ende!

HE: Na ja, ich war natürlich Lektor für Neugriechisch an der Universität zu Köln und wenn man das etwas ernsthafter betreibt, dann, ähnlich wie Niki gerade berichtet, gibt es Leute, die die Sprachkurse hinter sich lassen und sich dann auch für die Literatur begeistern oder sich begeistern lassen. Und in dem Moment, wo es solche Schüler gab, die fähig waren vom Sprachlichen her eine solche Übersetzung zu machen, habe ich dann auch in Köln angefangen und habe die Leute übersetzen lassen, Übersetzungen anfertigen lassen, die wir dann auch, ähnlich wie beiNiki in Frankfurt, zusammen korrigiert haben und dann warnatürlich das Problem des Verlags, weil wenn man das ernsthaft betreibt, muss man natürlich schon den Rückhalt haben, dass das dann auch irgendwann mal publiziert wird, weil so für die Schublade macht das nicht so viel Spaß.

Ich glaube mein erstes war Valtinos, nicht? To Synaxari tou Andrea Kordopati und ich hatte ja auch Mittel zur Verfügung um Leute einzuladen. Wir hatten sehr viele Autoren bei uns, das war sowohl für die Studenten als auch für die Fakultät von Interesse und wir hatten dauernd den Valtinos bei uns im Unterricht und er redete sehr gern. Aber wir hatten auch andere, den Milionis zum Beispiel, den Christoforos, und das waren ja sehr gut angesehene und relativ, ja sagen wir mal, überschaubare Texte, die sie geschrieben hatten. Also einen langen Roman zu übersetzen, das ist immer etwas schwierig, wenn man das mit Studenten betreibt. Aber eine Erzählung von Milionis, da kommt schon was dabei raus. Bei zehn Seiten, das ist eine überschaubare Zahl von Seiten und wenn das richtiggemacht wird und man dafür auch gelobt wird, dann läuft das, nicht?

NE: Damals gab es keine Übersetzer und zwar literarische Übersetzer! Es gab Übersetzer, die also Bürosachen übersetzten in den Konsulaten, in der Botschaft, aber damit konnte man nicht Literatur herausgeben. So dass wir auch Übersetzer gebildet haben, ausgebildet haben. Das Wort „ausbilden“ ist natürlich bisschen zu hoch angesetzt. Es gab Leute, die Talent hatten, beide Sprachen sehr gut kannten, und vor allem Deutsch, was ich von mir noch nicht behaupten konnte. Da war der Ehrgeiz angestachelt und wenn sie sahen, dass da was herausgekommen ist, haben sie noch mehr Lust gehabt und die hatten immer, und das muss ich also ganz ehrlich sagen, die Sicherheit, dass sie die Texte, auch wenn sie die nicht so gut verstanden hätten, kein Problem gegeben hätte, weil ich dahinter war.

Was bedeutet Übersetzen für dich?

NE: Eine ständige Übung zur Vertiefung beider Sprachen, egal ob man vom Deutschen ins Griechische, oder vom Griechischen ins Deutsche, das ist eine Art Rätselraten, was mich ganz toll entzückt. Also, wenn ich mich erholen will von sonstigen Verpflichtungen und Arbeiten flüchte ich in die Übersetzung. Egal ob sie erscheinen wird oder nicht, es ist für mich eine ständige Förderung und Forderung in meinem Gehirn und in meinem Gefühl.

HE: Natürlich, eine geistige Herausforderung, eine geistige Herausforderung. Zumal ich jetzt spezialisiert bin auf die mittelalterliche Dichtung, das ist ein ganz neues Feld. Ich darf darauf hinweisen, als eine Theatergruppe, wie ich später erfuhr gelenkt von kretischen Intellektuellen, aus Kreta, versuchten den Erotokritos auf die Bühne zu bringen in deutscher Übersetzung und dadurch diese Evangelatos-Version genommen haben, haben sie über die Botschaft, über die griechische Botschaft angefragt, wer denn überhaupt im deutschsprachigen Raum in Frage käme für eine solche Übersetzung und dann haben sie eindeutig alle gesagt, es gibt nur einen einzigen und das ist der Eideneier, in Köln war ich damals noch. Und das habe ich dann als Verpflichtung mehr oder weniger aufgenommen und entdeckte, dass mir das, dass diese Herausforderung doch sehr groß war, weil es geht ja auch um kretischen Dialekt, es geht ja nicht nur um Mittelalter. Und diese Herausforderungen mit dem Erotokritos bereichern das Leben und wenn man das dann schafft, dann hat das auch für das eigene Empfinden einen großen Vorteil.

Das Prozedere

NE: Wie bringt man denn dann einen Text, fangen wir mal wieder mit der Dichtung an, in eine Übersetzung so nahe, was den Rhythmus und die - die Melodie kann man nicht sagen, doch auch - so dass man das nicht weglässt, also das griechische Lied ist ja nicht nur Text, sondern die Art, wie das vertont wird, ist so verwoben mit dem Text, dass man das nicht trennen kann. Und ich würde also in diesem Fall sagen, dass es viel Arbeit bedeutet, dass man es erreicht, es ist aber erreichbar. Wir haben ein Beispiel und daraus sind auch zwei Bücher entstanden. Dieser Freund, der Buchhändler, er ist leider sehr früh gestorben, hatte das erste Liederbuch des griechischen Liedes in Deutsch erst mal übersetzt, Noten aufgeschrieben und so weiter und sofort und dann auch herausgegeben, schon in „Romiosini“-Verlag. Und es gibt Lieder und zwar von Odysseas Elytis, die er auf Deutsch zu Musik singen konnte. Das war ein Ereignis. Das kann man natürlich nicht mit jedem Lied machen, aber es ist zu machen. Nur braucht es natürlich wahnsinnig viel Anstrengung und vor allem, die Kenntnis des griechischen Rhythmus. Und das ist etwas, was in der Dichtung, gut also wir sprechen nicht von Reim usw., das sind ja vergangene Sachen, aber der freie Rhythmus ist zu machen in der deutschen Sprache. Ab Seferi sagen wir mal ist es möglicher, griechische Lyrik zu übersetzen ins Deutsche, finde ich. Ist natürlich eine Sache der Übung auch, ja.

HE: Im Mittelalter ist es einfach. Die volkssprachliche Literatur hat nur ein Versmaß, und das ist gerade der sogenannte Dekapentasillavos, also der Fünfzehnsilber. O politikos stihos, der politische Vers. Den kann man im Deutschen auch nachmachen. Und ich habe alle Werke, die ich veröffentlicht habe, alle übersetzt im deutschen Fünfzehnsilber. Der deutsche Fünfzehnsilber entspricht ziemlich genau auch von der Popularität her dem Griechischen. Also es ist überhaupt kein Problem, ich könnte hier weiter reden im deutschen Fünfzehnsilber, wenn man das mal langsam anwirbt. „O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter“ oder „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“, also wir haben und das ist ja das Ende jeden Märchens im Deutschen, „wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“, es ist ein glatter klassischer Fünfzehnsilber, und das bedeutendste Weihnachtslied „O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter“ ist ein klassischer Fünfzehnsilber, also jeder Deutsche empfindet das nicht als fremd, wenn man das so übersetzt, und da habe ich eben dem Ptohoprodromos, meiner griechischen Ausgabe, eine deutsche komplette Übersetzung, das sind immerhin zwölfhundert Verse, in diesem Fünfzehnsilber beigegeben. Allerdings bei „Romiosini“, das heißt, es wurde nicht ausreichend bekannt, wir haben kein Geld für Werbung ausgegeben.

NE: Prosa hat eine andere Art von Schwierigkeiten, aber nicht die Wiedergabe des Rhythmus, das kann man im Deutschen, diese strenge Sprache, obwohl also immer mit dem Verb am Ende usw. eine andere Struktur in dem Satz ist, man findet Mittel, womit man das überwindet. Aber mit der Dichtung ist natürlich, wenn sie auch noch gereimt ist, ist da irgendwo eine Grenze. Für jemanden, der zwar ein guter Übersetzer ist, aber sich nicht mit diesem Problem beschäftigt hat, das klingt irgendwie dann ja eben wie ein Kinderlied, wobei in der griechischen Literatur durchaus ernste Sachen in dieser Art geschrieben worden sind.

Das kann man natürlich nicht mit einem Wort sagen oder einem Satz, man müsste jetzt Beispiele haben, aber diese langen Nebensätze des Deutschen, wo das Verb eben eine große Rolle spielt an der richtigen Stelle - in der Dichtung kann man das verschieben aber nicht in der Prosa - und das ist im Gegensatz zu dem Griechischen, wo die Freiheit der Gestaltung eines Satzes vollkommen gegeben ist, was man betonen will, kommt in den Mittelpunkt und alles andere ist egal, ob das Verb am Anfang oder zweimal gesagt wird usw. Das ist nicht so leicht zu überwinden und zu erreichen vor allem. Aber trotzdem ein geübter Übersetzer schafft das. Er macht einen anderen, seinen Stil, den er aus der Übung herausgefunden hat, und das Ergebnis ist erstaunlich.

Ich habe das Gefühl, dass gerade die deutsche Sprache diese Lebendigkeit erlaubt. Hauptsache man hat es erkannt, wo die Lebendigkeit liegt und nicht dass man aus -ideologisch ist zu viel gesagt - aber aus auch literarischen Gründen, weil man in der deutschen Literatur sich auskennt, das mit einem deutschen Geist rüberbringt. Man muss den Geist von jedem Prosatext erst entdecken und dann versuchen das herüberzubringen, nicht unbedingt streng, also an dem Original gebunden. Es gibt Freiheiten in der Prosa-Übersetzung, die man nicht in der Dichtung hat.

HE: Man kann die Schwerpunkte anders legen. Und man muss sie bei Prosaübersetzungen anders legen. Ein gelungener griechischer Ausdruck im Griechischen muss nicht an derselben Stelle ein gelungener deutscher Ausdruck werden und umgekehrt muss man aber im Hinterkopf behalten „Aha! Ich schulde dem Autor noch einen tollen Ausdruck“. Den setze ich an einer anderen nicht zu weit entfernten Stelle ein und dadurch bekommt..., die Balance ist dann gewahrt. Ich muss mich in den Autor soweit eingelesen haben, dass ich fähig bin, nicht nur diese Balance zu erkennen, sondern wo auch die Stärken - unter Umständen auch die Schwächen - liegen. Und dass man das ungefähr ausgleicht. Das ist eine schöne Aufgabe und im Grunde zeigt sich da auch die Professionalität des Übersetzers, nicht? Also der muss darüber nachgedacht haben, der muss auch theoretisch in der Lage sein, so was zu begründen und nicht da Wort für Wort übersetzen. „Warum hast du an dieser Stelle jetzt da...“, also solche Kritik, die haben wir öfter gehabt, aber die muss man nicht unbedingt sehr ernst nehmen. In dem Moment, wo ich vor meinem eigenen Übersetzer-Gewissen entaxei... mich ... mich rechtfertigen kann.

NE: Eine Sache, die unabdingbar ist, ist meines Erachtens die, dass man als Übersetzer etwas mehr Zeit haben muss, als die Verleger ihm gerne geben. Es geht nicht „Also jetzt in zwei Monaten muss du dieses Buch machen“. Das ist, das ist... Ich meine gut, es gibt Leute, die so gut im Übersetzen sind, dass sie das schaffen. Aber eine Überprüfung des Gemachten im Sinne nicht nur von der.... von der... tin pistotita..., von der Treue her gegenüber dem Original, sondern den Text dann als einen deutschen Text zu lesen ohne sich entfernt zu haben von dem Griechischen. Das ist die Kunst des Übersetzers! Das ist nicht immer gelungen, kann auch nicht immer gelingen. Es hängt auch ein bisschen vom Original ab. Manchmal so surrealistische Texte zum Beispiel, also nehmen wir Giorgos Chimonas, wo er überhaupt keine Satzzeichen setzt. Und man beim Übersetzen doch welche dahin setzen muss, denn es geht beim Lesen nicht gut aus. Das haben wir erlebt und erlitten, aber deswegen muss man eben den Text dann auch als Leser, also ein Schauspieler bei einer Lesung zum Beispiel muss das laut vor sich hin gelesen haben, bevor er auf die Bühne tritt. Das hat auch eine eine... Es gibt einen Zwang, die griechischen Texte in deutscher Übersetzung erst mal laut zu lesen.

HE: A! Wo weit wir wieder beim Thema sind. Es ist natürlich auch von der Textsorte abhängig.

NE: Ja, natürlich. 

HE: Ich kann mir vorstellen, dass wenn man einen Kriminalroman von Markaris übersetzt, man andere Kriterien beachten muss. Nämlich, dass man eher den Jargon packt, dass man entsprechende griechische Ausdrücke doch versucht auch im Deutschen nachzuempfinden oder auch nachzuschreiben. Während wir bei strengen literarischen Erzählungen, ich denke wieder an Milionis... Was habe ich noch übersetzt? Kotzias zum Beispiel...

NE: Er ist auch so ein schwerer Autor. Der auch mit der Sprache... Der lässt einen Satz halb, du weißt im Griechischen was er sagen wollte, aber nicht sagen will... Und mach das auch auf Deutsch so! Es ist nicht einfach.

HE: Ja, aber wenn so gefragt wird, wann ist die Übersetzung fertig, dann muss man sagen, sie ist dann fertig, wenn der Übersetzer vor seinem Gewissen verantworten kann, dass das, dass er sich nicht wesentlich verbessern kann. Er hat das zehnmal durchgearbeitet oder auch zwanzigmal und immer weiter verfeinert nach verschiedenen Kriterien. Und dann irgendwann muss er zu einem Abschluss kommen. Das ist eine technische Frage.

NE: Ja, eben, das ist eine technische und eine Zwangssituation.

HE: Objektiv fertig wird sie nie sein.

HE: Also, das Wichtigste bei dieser Frage nach dem fertig oder nicht fertig ist das Gewissen des Übersetzers.

Lektorat

NE: Na ja, hauptsächlich aber also bei einem Lektorat ist es so, dass die Lektoren der großen Verlage kein Griechisch können, also ich spreche jetzt von diesen deutsch-griechischen, griechisch-deutschen Übersetzungen. Meine Freundin Danae Culmas hat öfter von dem „blinden Lektor“ gesprochen. Das heißt vor allem, er korrigiert ohne zu wissen, was genau im Original steht und vor allem, warum es so steht. Wenn man in einem Satz dreimal „ipe, ipe“ sagt, also „er hat gesagt, er hat gesagt“, dann hat es einen Sinn, es ist kein Fehler, es bedeutet irgendetwas für den Autor und die Frage ist, wie man das rüberbringt. Aber es ist kein Fehler, kein grammatischer Fehler.  

HE: Oder das „Kä“ in den rhythmischen Sätzen, muss man das übersetzen oder macht man einen Punkt?

NE: Das kann man nicht allgemein sagen, manchmal nicht und manchmal doch. Oder die langen griechischen Sätze, die sind zwar alles Hauptsätze hauptsächlich aber doch sehr sehr lang. Diesen Stil mögen die deutschen Lektoren nicht. Die Sache also der Lektoren ist sehr sehr zwielichtig für meine Begriffe. Die machen ihr Bestes, aber manchmal zerstören sie auch einen Text.

HE: Und manche Lektoren, manche Lektoren in großen Verlagen sind zu selbstbewusst.

NE: Die machen alles egal, alle Texte sind...

HE: Die kennen normalerweise, sonst würden sie nicht eingestellt, wenn sie nicht mindestens eine europäische Sprache vollständig beherrschen. Das ist meistens das Englische und es gibt ja eine unglaublich hoch, eine auf einem hohen Niveau anzusetzende Übersetzertätigkeit zwischen dem Englischen und dem Deutschen, dem Amerikanischen in den letzten Jahren. Und wenn ein solcher Lektor ein aus dem Griechischen übersetztes Buch vor sich hat, dann greifen zu schnell die Kriterien, die er von diesem hohen Niveau gewöhnt ist. Und dann kommt er her und lehnt das ab unter Umständen, wir haben das erlebt, nur weil er dann dem Chef, dem Verleger sagt „Ne, ne, also das ist Pipilangstrumpf-Niveau, so schlimm kann die griechische Literatur nicht sein“. Und da müsste man ihn in ein Seminar schicken, wo wir über griechische Literatur und deren Besonderheiten reden. Und das machen wir nicht... immer weniger.

Verlagswesen

NE: Das Publikum kannst du nicht herausfinden, weil das Publikum nicht nach Nationalitäten geht. Und das wissen die Verlage, die großen Verlage auch und die Lektoren auch und deswegen ist die Auswahl, die getroffen wird, ganz eng. Die suchen immer nach etwas Neuem, nach etwas, also ganz... das erste Mal Gesagtem, dann ist es ja. Und das stört sie zum Beispiel wahnsinnig, ich werde es nicht vergessen während der Buchmesse 2001 wurde offiziell gesagt „Ja, sucht ihr euch mal doch euren Homer aus, dann sind wir mit euch einverstanden“.

HE: Es muss gleichzeitig das spezifisch Griechische sein. Ich darf darauf hinweisen, dass ein Buch wie Alexis Zorbas im Deutschen eine Auflage fast von einer Million hatte.

NE: Und immer noch gelesen wird.

HE: Das ist allerdings der absolute Höhepunkt, es gab nie ein anderes Buch mit einer solchen Auflage. Und das hat aber auch die Deutschen geprägt in Richtung „Aha, die Griechen, das haben wir doch mal gelesen“, bei einer Million Auflage das haben also vier Millionen Leute gelesen, das hat schon das Griechenlandbild der Deutschen stark beeinflusst, allerdings, sagen wir mal, vor zwanzig, dreißig Jahren oder vierzig vielleicht sogar. Und ein Verleger, der clever ist, 

NE: bestätigt diese Meinung...

HE: fragt natürlich dann „Ja, habt ihr keinen neuen Kazantzakis, etwa?“. Und dann sagen wir „Ja, wir haben das schon, aber...“.

NE: Ne, wir haben viele Kazantzakis...

HE: Und wir sehen es jetzt zum Beispiel bei Markaris. Also Markaris ist unglaublich bekannt und jeder weiß, zumal er ja auch von Athen schreibt, dass es ein Grieche ist. Weil Kavafis oder so, ach Gott, was ist er, wer weiß schon, dass Kavafis ein Grieche war? Zumal er von der Diaspora war und so weiter. Da musste man schon dahinter mehr wissen über ihn. Aber Markaris, da kommst du nicht vorbei, zumal er unendlich oft auf Buchreisen durch ganz Deutschland reist. Und das mögen sie auch wieder. Also das sind hohe Auflagen, deren Zahl wir nicht kennen, aber diese Bücher gehen sehr gut. Und Markaris ist sehr bekannt, aber dann hört das gleich auf. Also weitere bekannte Namen, das gibt es jetzt nicht. Dieser Ikonomou usw., der eigentlich jetzt auch über die Krise oder ein Krisenbuch publiziert hat und das auch von der Birgit ins Deutsche übersetzt worden ist, das sind natürlich keine Auflagen, die in irgendeiner Weise Bedeutung haben. 

NE: Es ist auch keine Literatur, die jeden anspricht. Da muss man wirklich auch das griechische Leben kennen und alle diese Geschichten usw. Das ist nicht einfach.

Wenn es in Griechenland irgendein Unglück passiert, ob das Junta ist oder Krise oder oder... usw., dann ist Griechenland aktuell. Also, es ist furchtbar und das war mit ein Grund, warum wir „Romiosini“ gegründet haben. Das waren die ruhigen Zeiten, die 80er Jahre, alles Demokratie und gutes Leben usw. Und als Das doppelte Buch bei uns in der Schublade lag, und wir haben versucht, an 33 Verlage habe ich das Buch, die Übersetzung, es war eine gute Übersetzung, geschickt in der Hoffnung, dass die ein bisschen über Griechenland nachdenken. Was war denn früher... Kein einziger hat... drei haben...

HE: überhaupt nur geantwortet...

NE: drei haben überhaupt mit Nein geantwortet...

HE: und 30 überhaupt nichts. Die haben es sofort in den Papierkorb geschmissen.

Buchmessen

HE: Ohnehin muss man natürlich sagen, dass wir diese Wahl Griechenlands als Gastland der Buchmesse 2001, also vorwiegend Niki, ich ja weniger, doch uns als Plus angerechnet haben. Die Niki war hart dran jedes Jahr, sie hatte ja den Stand immer schon und kam aber auch an die Macher, an die Direktoren an und die kannten sie. Und Niki hat denen auf der Pelle gesessen und hat immer wieder „Wann kommt Griechenland dran?“. Und als wir dann... Einer der Gründe, warum eben „Romiosini“ wie dumm produziert hat,

NE: in diesem Jahr vor allem

HE: Nein, das sowieso, aber auch sonst, war dass tatsächlich dann der entscheidende Mensch gesagt hat „so jetzt haben wir genügend Bücher auch auf dem deutschen Markt und auch auf dem englischsprachigen, so dass wir das wagen können“

NE: weil früher gab es keine Übersetzungen

HE: und dann haben wir natürlich gesagt „wenn jetzt nicht, dann wann?“ Also das musste zum Durchbruch kommen. Dann haben wir uns völlig übernommen, wir haben sechzehn Bücher publiziert im Jahr 2001...

NE: völlig außerhalb unserer Möglichkeiten...

HE: natürlich...

NE: manche auch ein bisschen zu schnell herausgegeben, das stimmt schon...

HE: Also, ich hab mir Geld geliehen und was weiß ich alles, es war also furchtbar, ich zahlte das ja alles aus meiner Tasche und das war natürlich erschütternd, dass dieser Durchbruch, der nicht von „Romiosini“ hätte kommen können, aber doch immerhin, wir waren mit dem „Hanser“-Chef, den Krüger, befreundet und auch mit „Suhrkamp“ hatten wir Kontakt und alles Mögliche... Also das hätte schon laufen müssen. Und die lustige, wie hieß sie dann diese Österreicherin, diese..., die da in der Zeit geschrieben hat.... Über vier Seiten Sonderbeilage Griechenland aus Anlass der Buchmesse 2001. Was schrieb sie? Sie hat sich einladen lassen nach Troja und hat über die neuesten Ausgrabungen in Troja berichtet und dann hat sie sich hingestellt in der Buchmesse selber, ich war mit der Birgit dort anwesend, du auch. Löffler hieß die Dame, die Sigrid Löffler, die sehr bekannt war, weil sie bei Reich-Ranicki einmal im Monat im „Literarischen Quartett“ war. Das war die berühmte Löffler-in, weil sie Germanistin war und weil Reich-Ranicki immer behauptet hatte „Ich hab von Germanistik keine Ahnung, aber ich bin Kritiker“. Und die haben sich da immer gezankt, aber die hatte eben einen großen Namen, und dann stellt die sich hin in einer Podiumsdiskussion und quatscht da rum, das war nicht zu ertragen!

NE: Von Literatur keine Ahnung...

HE: Und dann hab ich also mal da eingegriffen, ich war ja im Publikum, ich kann mich noch genau an dieses Delta erinnern, es waren ziemlich viele Leute, und dann sag ich „Mädchen, wie kommst du eigentlich dazu, den Mund aufzumachen von einer Literatur, wo du nicht nur keine Ahnung hast, aber du meinst, eine zu haben und du stellst dich hin und hast keine, also wie kommt denn sowas?“ „Ja, Sie greifen mich an, ich habe keine Lust mich mit Ihnen weiter zu unterhalten“ und so halt diese Tour... Die hat mich da stehen lassen. Zunächst mal „Wer sind Sie?“, dann sage ich „Ja, ich bin Professor für neugriechische Literatur“. Sie hätten sich da mal mit mir unterhalten können, das habe ich nicht gesagt, aber das hat sie schon verstanden. Und das war erschütternd, dass das eben nur wieder so auf konsumtaugliche Literatur hinausgelaufen war.

Der Verlag „Romiosini“

HE: Einer der Gründe warum wir damals auch „Romiosini“ gegründet haben, war eben, dass ich in den Schubladen sehr viele, also nicht sehr viele, aber doch viele Texte angesammelt hatte, und wir versuchten natürlich zunächst das bei anderen Verlagen unterzubringen und das ist nicht gelungen. Damals hat es sich niemand für neugriechische Literatur interessiert und dann haben wir das bei unserem Stammtisch-Abend im Lokal, im „Romiosini“ in der Kölner Südstadt, wurde beschlossen, die Niki macht jetzt den Verlag und wir helfen ihr dabei.

NE: Das war eine „Parea“ also in eine Gruppe von Studenten, von meinen Studenten, von seinen Studenten, Freunde, die einfach dazu kamen oder dazu gehörten, und eines Abends in diesem Restaurant, wo wir…

HE: Wir hatten jeden Donnerstag den Stammtisch, der berühmteste, ich sagte immer die wichtigste Mathima, die wichtigste Unterrichtsstunde der Woche ist der Stammtisch donnerstagabends...

NE: nach dem Unterricht...

HE: und nach dem Tanz, weil nach dem Unterricht kam noch der Tanz „ipochreotiko“, es war also Pflicht, griechische Tänze zu lernen, genauso wie griechische Lieder, sind wir nachher in das Lokal „Romiosini“ in die Südstadt.

NE: Ja, und das gab eben auch den Namen des Verlags. Ja, wer macht das? Die Studenten konnten nicht, weil sie studierten. Er war Professor, ich war nur Lektorin in Frankfurt, was ich übrigens sehr gerne war und bis heute ich es, na ja, bereuen kann ich nicht sagen, aber doch ich habe vermisst diese Tätigkeit, weil ich aufhören musste. Na ja, dio karpouzia war nicht möglich, obwohl ich zwei Jahre lang also beides gemacht hatte. Aber ich war wie die Jungfrau zum Kind, ich hatte keine Ahnung, wie so ein Verlag gegründet wird, wie er funktionieren soll, was man alles beachten muss. Und der Buchhändler, Freund und Schüler von Hans, eine der Besten, er hat mir versprochen: „Mach dir keine Sorgen, ich habe eine Ahnung, ich helfe dir“. Und das hat er auch gemacht viele Jahre.

HE: Er hatte auch studiert gehabt...

NE: Solange also dann die Produktion relativ in Grenzen gehalten wurde, ging es eigentlich. Problematisch wurde es, als wir mehrere Bücher gemacht haben, oder machen wollten auch. Erstens das Finanzielle, wir hatten überhaupt keine Ahnung, wie wir diese Bücher herausgeben sollten finanziell. Da hat mein seliger Schwiegervater ohne es zu wollen und zu wissen dabei geholfen. Der Hans hat ein kleines Erbe gekriegt und mit diesem kleinen Kapital haben wir angefangen. Dann ging es weiter, und ich war immer noch allein und unser Freund, der Buchhändler, hat wo er konnte geholfen. Aber das hat nicht ausgereicht. Also ich musste auch paar Sachen selbst übersetzen nach den Erfahrungen, die ich hatte, erstens, weil ich es mochte und zweitens weil ich keine Übersetzer hatte.

HE: Es wurde lektoriert...

NE: Nein, nicht nur lektoriert. Sondern wir haben die nebenher gelesen. Also derjenige, der die Übersetzung gemacht hat und ich den griechischen Text. Und es wurde laut vorgelesen und es gab viele Sachen, die übersehen oder nicht richtig verstanden wurden, und ich will nicht sagen, dass ich alles verstehen konnte, auch in der griechischen Literatur gibt es Stellen, über die man rätseln…

HE: gerade in der Dichtung...

NE: Ja, gerade in der Dichtung... Aber in dem Gespräch kommen immer ganz tolle Ideen und das war die beste Art des Übersetzens! Stundenlang, nächtelang... wir haben ja nicht mehr als fünf Bücher im Jahr gemacht. Das heißt was...

HE: Wir sind eben Profis.

NE: Wer? Wir?

HE: Wir sind Profis in dieser Richtung, das war Neogräzistik pur. Um das in Deutschland, und das war unsere Aufgabe,

NE: die wir uns selber gestellt hatten...

HE: die neugriechische Literatur zu verbreiten.

NE: Ne, das würden wir natürlich nicht mehr machen. Ich auch nicht. Erstens, weil ich zu alt bin dafür und zweitens die Voraussetzungen sind heute ganz anders. Heute sind die Voraussetzungen, dass man bereit ist, die Elektronik einzusetzen und sich gut auskennen als Verleger oder als Übersetzer sowieso, und eben so arbeiten, auf die schnelle usw. und diese Zeiten, wo man eben mit der handgeschriebenen Übersetzung, bevor man sie in den Computer oder die Schreibmaschinen reingegeben hat, eben mit dem Original vergleichen konnte und musste, die sind vorbei. Heute muss man Fertigkeiten bringen und Fertigkeiten sind nicht immer Qualität.

HE: Ja, man muss mindestens ein Drittel, wenn nicht die Hälfte des Etats für die Werbung ausgeben.

NE: Ja, das ist ein ganz großes Thema.

HE: Wir haben keinerlei Werbung betrieben. Zwei Zeilen in der Zeit, was ja eigentlich die Zeitung gewesen wäre, wo man hätte diese Werbung einsetzen müssen, kosteten so viel wie die Herstellung eines Buches und dann haben wir das Buch gedruckt und haben auf die Werbung verzichtet, mit dem Erfolg, dass wir das Buch für uns gedruckt haben und nicht für die Leute.

NE: Die großen Verlage schon damals, die Bücher, die sie während oder für die Buchmesse 2001 extra machten, es sind ungefähr 10 Bücher extra gemacht worden von anderen Verlagen und mit Werbung haben sie auch nichts gemacht. Das war sehr erstaunlich. Die Bücher kamen zur Messe, die Autoren auch, und sie haben gelesen usw., aber wo war die Werbung?

Ich habe oder wir haben von „Romiosini“ keinen einzigen Cent, kein einziges Euro verdient, sondern alles was - im Laufe der Jahre sind auch einige Bücher verkauft worden, so ist es nicht - ist immer in die nächste Produktion gegangen. Und das glaubt kein Mensch, und alle meinen, viele meinen, dass die „Romiosini“ jetzt zum CeMoG gegangen ist, dass ich reich geworden bin.

HE: Wir ergänzen uns ideal.

NE: So wie ihr euch...

HE: weil ich alle Bücher, die bei „Romiosini“ erschienen sind, ich durchsehen konnte nach deutschen Kriterien, wobei ich sicher war, dass die reine Übersetzerarbeit gemacht wurde, von der Niki durchgesehen wurde und ich mich auf den deutschen Stil konzentrieren konnte. Und dadurch, dass wir in derselben Wohnung auch schon damals wohnten, konnte man bei Rückfragen nicht nur die Lektorin oder sogar auch die Übersetzerin selber fragen, sondern das sind ja auch Werke gewesen, die ich selber auch im Griechischen sehr gut kannte, und oft waren es ja Werke, die ich in Seminaren behandelt habe und meine Vorschläge sind ja auch berücksichtig worden, also wir haben uns in dieser Weise wirklich ideal ergänzt.

NE: Das stimmt und umgekehrt auch. Also, wenn ich griechische Übersetzungen aus dem Deutschen ins Griechische gemacht habe, habe ich eben auch die Möglichkeit gehabt, mich belehren zu lassen, ob ich was gut verstanden habe oder nicht. Aber unabhängig davon sagte ich immer, als wir jung verheiratet waren und andere Paare sich auseinandergelebt hatten usw., habe ich gesagt, das wird uns nicht passieren hoffentlich, weil wir immer an dem selben Strang ziehen. Uns wird das Gespräch nicht ausgehen.

Zum Interview

Ort: Thessaloniki
Datum: 1. Oktober 2014
Interviewerin: Anthi Wiedenmayer
Kamera und Schnitt: Apostolos Karakasis
Lizenz: CC BY-NC-ND 3.0 DE

Zitiervorschlag: Anthi Wiedenmayer, "Interview mit Hans und Niki Eideneier", Übersetzerporträts, Freie Universität Berlin/CeMoG, Berlin, 2018, http://www.cemog.fu-berlin.de/ue-portraets